Jula Zenetti ist Volljuristin und promoviert am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig zum Thema „Eigenrechte der Natur“. Im Gespräch mit der kleinen Advokatin erklärt sie, wie die Idee praktisch umsetzbar wäre.
DkA: Frau Zenetti, die Idee von Eigenrechten der Natur stammt aus den 70er Jahren. In Deutschland wurde sie Ende der 80er anhand der Robbenklage diskutiert. Wirklich bewegt in Richtung Anerkennung von Eigenrechten hat sich in Deutschland und Europa seitdem allerdings nichts. Wieso kommt die Debatte jetzt wieder auf?
Zenetti: Dafür lassen sich vor allem zwei Gründe ausmachen. Zum einen wurden die Eigenrechte der Natur in mehreren Rechtsordnungen anerkannt, erstmals 2006 in einer Gemeinde in den USA, 2008 dann in der Verfassung von Ecuador. Inzwischen sind Eigenrechte in über 20 Rechtsordnungen anerkannt. Daraufhin haben sich dann auch wieder mehrere internationale Autor*innen intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt. Ohne die Anerkennung in diesen Rechtsordnungen wäre die Eigenrechtsdebatte deshalb vermutlich nicht wieder aufgelebt, jedenfalls nicht in diesem Maße. Zum anderen spielt aber selbstverständlich auch die verschärfte Umweltproblematik eine Rolle. Dadurch wurde in der Gesellschaft die Dringlichkeit einer ökologischen Transformation erkannt. Diese aber auch umzusetzen ist eine riesige und schwere Aufgabe. Sie erfordert ein grundlegendes Umdenken in vielen oder vielleicht in allen Lebensbereichen und natürlich auch ein entsprechendes Handeln. Es ist aber nicht einfach, tief eingeprägte Muster, Ansichten und Gewohnheiten zu ändern. Das können wir in Politik und Wirtschaft beobachten, aber auch jede*r -in verschiedenem Ausmaß- bei sich selbst. Das Eigenrechtskonzept sieht ein grundlegendes Umdenken im Recht vor: Die Natur wird vom Rechtsobjekt, einem verfügbaren Gegenstand, zu einem Rechtssubjekt mit eigenen einklagbaren Rechten. Dieser Perspektivenwechsel könnte auch einen Beitrag zur ökologischen Transformation leisten.
DkA: Hat sich denn im Vergleich zu der Debatte aus den 70er/80er Jahren etwas verändert? Geht es auch heute darum, eine andere als die anthropozentrische Sicht auf die Mensch-Natur-Beziehung gesetzlich zu verankern und dadurch dann auch faktisch besseren Naturschutz zu ermöglichen? Oder haben sich die Motive hinter der Eigenrechtsidee gewandelt?
Zenetti: Was sich in der Debatte verändert hat sind zum einen umweltrechtliche Vorschriften. Seit den 70er und 80er Jahren hat sich ja im deutschen und europäischen Recht schon viel geändert, zum Beispiel durch die Aarhus-Konvention und deren Umsetzung. Während Christopher Stone noch davon ausging, dass Umweltrecht gar nicht klageweise geltend gemacht werden kann, gibt es in der EU und in Deutschland inzwischen die Möglichkeit, Verstöße gegen verschiedene Umweltrechtsnormen geltend zu machen. Auch im materiellen Umweltrecht hat sich was getan, in Deutschland etwa durch die Einführung des Art. 20a GG. Der hat ja kürzlich durch den Klimaschutzbeschluss des Bundesverfassungsgerichts auch eine wichtige praktische Anwendung erfahren. Zum anderen haben sich die tatsächlichen Gegebenheiten geändert; die Umweltprobleme sind noch gravierender, noch dringlicher geworden.
DkA: Wenn Sie also sagen, dass das Umweltschutzniveau durch verbesserte Klagemöglichkeiten wie beispielsweise der Verbandsklage und neuen materiell-rechtlichen Bestimmungen angehoben wurde: Bedeutet das, dass den Problemen der Robbenklage, insbesondere, dass umweltrechtliche Normen nicht einklagbar waren, mittlerweile Abhilfe geschaffen wurde?
Zenetti: Nein, dasselbe Problem besteht immer noch, nur in einem anderen Maß. Zur Zeit der Robbenklage waren Verstöße gegen Umweltrecht noch nicht einklagbar, heute können bestimmte Umweltverbände Verstöße gegen einzelne Normen des Umweltrechts einklagen. Aber eben nur Verstöße gegen solche Normen, für die das rechtlich vorgesehen ist, in Deutschland insbesondere durch das Umweltrechtsbehelfgesetz. Daneben hat der Europäische Gerichtshof die Klagemöglichkeiten wegen Verstößen gegen umweltrechtliche Sekundärrechtsakte, wie etwa der Wasserrahmenrichtlinie, erweitert. Wenn man sich aber die Robbenklage anschaut: Eine solche Giftmüllverklappung, beziehungsweise die Genehmigung dazu ist nicht im Umweltrechtsbehelfsgesetz oder an anderer Stelle geregelt. Deswegen ist davon ausgehen, dass immer noch niemand dagegen klagen könnte. Trotz grundlegender Verbesserungen besteht das Grundproblem also weiterhin fort.
DkA: Eingangs haben Sie schon den Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts erwähnt, in dem entschieden wurde, dass das Bundesklimaschutzgesetz nachgebessert werden muss. Dabei ging es im Beschluss zwar immer um den Schutz menschlicher Grundrechte, das Bundesverfassungsgericht hat aber anerkannt, dass effektiver Grundrechtsschutz nur möglich ist, wenn auch die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen geschützt werden. Das ist eine sehr anthropozentrische Sicht auf den Naturschutz. Kann man den Beschluss aber nicht eventuell als Bestätigung dafür sehen, dass auch anthropozentrisch geprägte Rechtsordnungen die nötigen Instrumente bereitstellen, um effektiven Naturschutz zu gewährleisten? Oder anders gefragt: Worin bestünde angesichts des Beschlusses der Mehrwert von Eigenrechten?
Zenetti: Der Klimabeschluss ist aus umweltschutzrechtlicher Perspektive natürlich begrüßenswert. Er setzt aber an einer anderen Stelle an als Eigenrechte. Wenn das Bundesverfassungsgericht sagt, wir Menschen haben ein Recht auf gesunde Umwelt, dann ist das etwas elementar anderes als zu sagen, die Umwelt hat ein Recht darauf, gesund zu sein. Eigenrechte können hingegen auf mehreren Ebenen wirken. Einmal gibt es den prozessrechtlichen Teil, über den wir ja schon geredet haben, dass also momentan nur bestimmtes Umweltrecht eingeklagt werden kann. Eigenrechten hingegen ist immanent, dass sie einklagbar sein müssen. Schließlich ist es ein Merkmal von subjektiven Rechten, dass sie auch gerichtlich durchsetzbar sind. Zudem können Eigenrechte auch im materiellen Recht wirken. Die Natur oder Ökosysteme könnten zum Beispiel Eigentümer eigener Fonds sein, in die Entschädigungszahlungen im Falle der Verletzung ihrer Rechte fließen. Darüber hinaus gibt es den ebenfalls schon genannten transformativen Aspekt von Eigenrechten. Recht prägt in gewissem Maße die Gesellschaft. Wenn jetzt die Natur als Rechtsträgerin anerkannt würde, dann könnte das eine Transformation der Gesellschaft – weg von einem dualistischen Naturverständnis und hin zu einem nachhaltigen Zusammenleben – fördern.
DkA: Aber meinen Sie, dass alles ließe sich nur durch Eigenrechte erreichen? Könnte man nicht einfach innerhalb unseres jetzigen Rechtssystems verbesserte Klagemöglichkeiten schaffen und ein umfangreicheres Netz an Umweltschutznormen spannen, um dasselbe Niveau an Naturschutz zu erreichen wie durch Eigenrechte?
Zenetti: Es ließe sich bestimmt viel angleichen, beispielsweise könnte die Aufzählung der einklagbaren Umweltrechtsnormen im Umweltrechtsbehelfsgesetz erweitert werden. Bei den Wirkungen im materiellen Recht dürfte das nicht ganz so einfach sein. Um das vorherige Beispiel zu bedienen: Eigentümer eines Fonds zu sein, ohne eigene Rechte zu haben, ist schwierig. Und es bleibt der Aspekt des Beitrags zur ökologischen Transformation. Eine „Revolution des Rechts“, wie der Rechtswissenschaftler Jens Kersten die Anerkennung von Eigenrechten beschreibt, würde nicht ohne Einfluss auf die Gesellschaft bleiben. Für mich stellt sich also eher die Frage: Warum sollten wir auf ein gut passendes Konzept wie das der Eigenrechte und dessen transformative Wirkung verzichten, nur um auf unserem bisherigen System zu beharren?
DkA: Zur Anerkennung von Eigenrechten gibt es ja verschiedene Möglichkeiten. Da gibt es zum einen den gerichtlichen Weg, dass Eigenrechte per Rechtsauslegung anerkannt werden. Zum anderen ginge das aber auch über eine Gesetzesänderung, entweder auf Verfassungs- oder einfachgesetzlicher Ebene. Was für Vor- und Nachteile bringen die unterschiedlichen Wege jeweils mit sich und welchen halten Sie persönlich für den vielversprechendsten?
Zenetti: Es gibt durchaus plausible Argumente dafür, dass die Anerkennung von Eigenrechten bereits durch Auslegung des geltenden europäischen und deutschen Rechts möglich ist. Der Klimaschutzbeschluss zeigt einmal mehr, dass die Rechtsprechung in Sachen Umweltschutz wegweisend sein kann. Für eine Anerkennung durch Gesetzesänderung hingegen braucht es die erforderlichen Mehrheiten, die sich für eine Anerkennung auf einfachrechtlicher Ebene leichter finden lassen könnten als für eine Änderung auf Verfassungsebene. Beispielsweise werden ja auch juristische Personen momentan im einfachen Recht anerkannt, für die GmbH regelt etwa § 13 GmbHG: „Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung als solche hat selbständig ihre Rechte und Pflichten…“. Über den einfachgesetzlichen Regelungen hinaus gelten dann gemäß Art. 19 Abs. 3 GG die auf eine GmbH anwendbaren Grundrechte. Eine solche Form der Anerkennung ist – neben vielen anderen – auch für Eigenrechte der Natur denkbar.
DkA: Wie realistisch ist es, dass Eigenrechte in absehbarer Zeit eingeführt werden? Abgesehen von der Anerkennung durch Verfassungsauslegung ist das ja doch eine sehr politische Frage, und im neuen Koalitionsvertrag steht es jetzt zumindest noch nicht drin. Gibt es anderweitige Initiativen, die auf die Anerkennung von Eigenrechten der Natur hinarbeiten oder steckt die Diskussion noch in der juristischen Blase fest?
Zenetti: In Deutschland gibt es eine Initiative in Bayern, die auf eine Anerkennung per Änderung der Landesverfassung abzielt. Weltweit gibt es bereits viele ähnliche Bewegungen und es ist zu erwarten, dass es eine wachsende Anzahl an Fällen der Anerkennung von Eigenrechten geben wird. Was in Deutschland und Europa passiert, ist allerdings schwer vorherzusagen. Ich denke, dass das Thema in Zukunft vermehrt diskutiert werden wird, aber eine Aussage darüber zu treffen, wie wahrscheinlich hierzulande eine Anerkennung ist, wäre Spekulation.
DkA: Zum Abschluss würde ich gerne noch einmal auf die Klimakrise zu sprechen kommen: Mal angenommen, man würde von heute auf morgen Eigenrechte der Natur einführen, mit allen damit einhergehenden Folgen, also verbesserte Klagemöglichkeiten, erhöhtes materielles Schutzniveau, etc. Meinen Sie, dass eine solche Anerkennung die Lösung der Klimakrise auf juristischer Ebene bedeuten kann? Oder ginge es zu weit, das so zu formulieren?
Zenetti: Nein, das ginge zu weit. Die Klimakrise bekommt momentan sehr starke mediale Aufmerksamkeit und steht im gesellschaftlichen Fokus. Aber es ist nur eine neben mehreren Umweltkrisen, wie etwa dem Artensterben. Eigenrechte wirken nicht gezielt aufs Klima, sondern es geht vielmehr um die grundsätzliche Veränderung des Umgangs mit der Natur und einzelnen Ökosystemen wie Flüssen oder Wäldern. Von daher stellen Eigenrechte keine Brandlöschungslösung der Klimakrise dar, sondern sie wirken auf die Abkehr von einem stark anthropozentrischen Weltbild hin. Das geht nicht in ein, zwei Jahren. Hoffentlich schaffen wir das aber in absehbarer Zukunft.
DkA: Wir bedanken uns für das Gespräch!
Das Interview führte Ben Grünewald.
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