Nicht nur Studierende wurden zu Beginn der Pandemie mit Online-Versionen von Vorlesungen, AGs und Klausuren ins kalte Wasser geschmissen. Damit diese Formate überhaupt stattfinden konnten, mussten sie erst einmal organisiert und koordiniert werden. Drei Dozierende der Universität Leipzig lassen hinter die Kulissen blicken.
38 Schritte bis zur Vorlesung – Prof. Marc Desens
DkA: Herr Prof. Desens, Sie haben seit 2010 den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Steuerrecht und Öffentliches Wirtschaftsrecht an der Universität Leipzig inne. Sie lehren also schon eine ganze Weile. Aufgrund der Corona-Pandemie war das Sommersemester 2020 für Sie sicher ein ganz besonderes. Was waren Ihre ersten Gedanken, als klar war, dass die Uni vorerst geschlossen bleibt?
Desens: Mein erster Gedanke war: „Was machen wir denn jetzt?“ Ich habe damals, wie wahrscheinlich die meisten, noch nie eine Online-Vorlesung gehalten. Unter den Hochschullehrern fand zwar ein Austausch statt, aber vom Rektorat gab es keine Unterstützung. Man wurde ins kalte Wasser geschmissen und musste erst einmal improvisieren. Manche haben Powerpoints besprochen und hochgeladen, aber mir war der direkte Kontakt zu den Studierenden wichtig. Darum habe ich mich in Zoom eingearbeitet und damit meine Veranstaltungen gehalten. Am Anfang konnte ich das genau so wenig wie alle anderen. Aber durch Ausprobieren wird man besser und mittlerweile ist es ja fast langweilig, eine Veranstaltung mit so einem Programm zu halten.
DkA: Sie waren dann auch nicht mehr im Büro, sondern haben alles von zu Hause aus gemacht?
Desens: Ja. Eine Vorlesung online zu halten, ist zwar sehr bequem, aber sobald man Zoom dann schließt, verfällt man in eine Leere. Mit der Zeit gewöhnt man sich aber auch an diese Bequeme. Ich denke, wir müssen erst wieder lernen, aus dieser Lethargie rauszukommen.
DkA: Hatten Sie in Ihrem Arbeitsalltag Probleme, was die Kinderbetreuung betrifft?
Desens: Im ersten Lockdown habe ich jeden Vormittag drei Kinder betreut. Danach habe ich mich um die neuen Vorlesungsformate gekümmert. Das war auf jeden Fall schwierig.
DkA: Sie haben sich im Wintersemester 2020/21 in Ihrer Vorlesung zum Allgemeinen Verwaltungsrecht für ein hybrides Konzept entschieden. Im Hörsaal saßen so viele Studierende, wie es die Hygieneregeln zuließen, und der Rest war online über Zoom dabei. Wie lief die Konzeption dafür ab?
Desens: Das war schon eine Herkulesaufgabe. Die erste Frage war, wie wir die 180 zugelassenen Plätze im Audimax besetzen. Nachdem wir bereits im Mai im Rektorat erfolglos angefragt hatten, ob uns dafür ein Reservierungsprogramm zur Verfügung gestellt werden kann, kamen wir auf die Idee, den Terminkalender in Moodle umzufunktionieren. Bald kamen kritische Stimmen, die meinten, man könne gar nicht kontrollieren, ob dann wirklich nur die erlaubten 180 Studierenden anwesend sind. Ich war aber der Ansicht, dass in einer so ernsten Situation wie einer Pandemie die Studierenden in der Lage sind, sich vernünftig zu verhalten, auch wenn wir die Einhaltung der Regeln nicht bei jedem Einzelnen kontrollieren können. Und so war es im Nachhinein auch. Viele gingen davon aus, die Studierenden machen nur Party und brechen alle Regeln. Aber ich habe genau das Gegenteil wahrgenommen. Selten habe ich so disziplinierte Studierende gesehen wie in diesem Semester. Dann brauchten wir den Hörsaal. Das Problem hierbei: Das Rektorat hat eine e-learning-Abteilung, die für die Zoom-Lizenzen zuständig ist, und eine Abteilung, die sich um die Hörsäle kümmert. Beide sind aber untereinander nicht gut vernetzt. Wir mussten dafür sorgen, dass alle Studierenden, ob online oder im Hörsaal, mich hören und sehen konnten und am Ende eine Aufzeichnung zur Verfügung hatten. Über das Rektorat, verschiedene Lehrstühle und wissenschaftliche Mitarbeiter haben wir es aber schließlich geschafft, alles zu koordinieren. Um die Veranstaltung halten zu können, waren jedes Mal 38 verschiedene technische Schritte notwendig. Beim ersten Mal habe ich dafür zwanzig Minuten gebraucht, am Ende dann nur noch fünf. Aber ich glaube, es hat ganz gut geklappt. Am Ende des Tages waren alle, die dabei sein wollten dabei, ob online oder im Hörsaal.
DkA: Wie hat es sich für Sie angefühlt, so eine hybride Vorlesung zu halten?
Desens: Normalerweise kommt man in den Hörsaal, dort sind ein paar hundert Leute und man muss irgendwann mal auf’s Mikrofon hauen, damit es ruhig wird. Bei so einer hybriden Vorlesung steht man unten im Audimax und denkt, man ist in Nordkorea. Alle sitzen ganz diszipliniert mit Abstand und Maske da und es herrscht totale Stille. Da hat man als Dozent ein mulmiges Gefühl. Aber das Positive war, ich habe noch nie so sehr gespürt, dass Studierende dankbar waren, dass sie diese Vorlesung hören dürfen. Das ist ein schönes Gefühl, wenn man merkt, dass die ganze Arbeit dankend angenommen wird, denn so eine hybride Vorlesung vorzubereiten dauert mindestens doppelt so lang wie eine normale.
DkA: Sie haben Sich dazu entschieden, die Vorlesung aufzuzeichnen. Viele Dozierende haben sich dagegen entschieden. Grund war oft die Sorge, dass nur noch wenige kommen oder nicht mehr mitmachen. Warum haben Sie sich trotzdem dafür entschieden?
Desens: Ich habe in einer kleineren Veranstaltung die Studierenden gefragt, ob sie weniger mitmachen würden, wenn die Veranstaltung aufgezeichnet wird. Aber keiner hatte Bedenken. Die Aufzeichnung wird ja auch nicht komplett frei ins Internet gestellt, sondern in Moodle. Anhand der Abrufdaten habe ich auch gesehen, dass sich nicht die Masse die Aufzeichnungen angeschaut hat. Ich glaube, es wird eher als Option wahrgenommen. Wenn man mal eine Vorlesung verpasst hat oder kurz vor der Klausur nochmal etwas wiederholen will, kann man einfach in die Aufzeichnung schauen. Ein Missbrauch der Aufnahmen hat auch nie stattgefunden, deswegen war es für mich im Nachhinein die richtige Entscheidung, die Veranstaltung aufzuzeichnen.
DkA: Sie waren von 2010 bis 2016 Studiendekan und haben deshalb Erfahrung, Lehre zu koordinieren. Hätten Sie sich rückblickend einen anderen Umgang seitens der Universität mit der Pandemie gewünscht?
Desens: Ich trenne klar zwischen unserer Fakultät und dem Rektorat. In der Fakultät haben alle Kolleginnen und Kollegen produktiv zusammengearbeitet und überlegt, wie wir die Situation bewältigen können. Das Rektorat war mir etwas zu restriktiv, dort war man erstmal in Schockstarre. Aber ich denke, wir haben alle gelernt, dass einfach abzuwarten nicht der richtige Weg ist. Man muss immer einen Plan A, B und C haben, auch wenn man jetzt davon ausgeht, dass das kommende Semester in Präsenz stattfindet. In Leipzig hatten wir im Vergleich zu anderen Unis einen sehr guten Umgang. Gerade was die Umsetzung der Open-Book-Klausuren angeht, waren wir in Deutschland Vorreiter. Da wir unter die „Klausuren“, von denen die Prüfungsordnung spricht, keine Online-Klausuren fassen konnten, haben wir eine entsprechende Ermächtigungsgrundlage für die Online-Ersatzleistungskontrollen geschaffen und den Studierenden schnell Rechtssicherheit geben können.
DkA: Das nächste Wintersemester soll in Präsenz stattfinden. Wie wird Ihre Lehre nach der Pandemie aussehen?
Desens: Ich habe so viel Zeit in die Hybrid-Formate, Moodle und das Aufzeichnen gesteckt, dass ich mir vorerst vorgenommen habe, stets ein Hybrid-Format anzubieten. Auf der Präsenzvorlesung wird der Fokus liegen, aber man hat auch die Möglichkeit, die Veranstaltung wahrzunehmen, wenn man mal nicht kommen will oder verhindert ist. Am Schluss kommt es mir darauf an, dass möglichst viele Studierende etwas lernen. Wenn sie das online besser können, habe ich damit kein Problem. Ich kann mir auch vorstellen, nach der Pandemie einige zusätzliche Veranstaltungen nur online anzubieten. Gerade in der Examensvorbereitung hat man nicht viel Zeit. Würde zum Beispiel der LEO-Klausurenkurs online angeboten werden, könnte man sich unnötige Wege sparen. Aber bei reinen Online-Formaten ist es mir wichtig, dass alle ihre Kamera anmachen, soweit es möglich ist. Es gibt nichts Komischeres, als vor schwarzen Kacheln auf Zoom eine Vorlesung zu halten. Das Feedback durch die Mimik der Studierenden ist sehr wichtig.
Höhere Gewalt – Prof. Michael Zwanzger
DkA: Herr Prof. Zwanzger, Sie haben den Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Rechtsgeschichte und Europäische Rechtsharmonisierung inne. Daneben kommt Ihnen eine weitere wichtige Rolle zu – Sie sind Studiendekan der Juristenfakultät und koordinieren daher alles rund um Studium und Lehre. Dabei sind Sie in den letzten Semestern aufgrund der Pandemie mit vielen neuen Problemen konfrontiert worden. Neben Vorlesungen, die online stattfinden mussten, stellte sich auch die Frage, wie Klausuren in einem digitalen Semester aussehen sollten. Wann und wie hat die Planung dafür begonnen?
Zwanzger: Im Gegensatz zu vielen anderen Fakultäten hatten wir das Problem von Anfang an auf dem Radar und haben uns relativ schnell umgesehen, welche Alternativen zu Präsenzklausuren in Frage kommen. Wir standen wegen der Fortgeschrittenenübungen auch unter Zugzwang. Dass eine digitale Lösung nötig war, war schnell klar. Die Folgeprobleme waren es auch: Reine Wissensfragen oder Standardfragen sind keine Option, wenn Google und Konsorten verfügbar sind. Somit brauchten wir eine Prüfungsform, die online bearbeitet werden kann, keine trivialen Wissensfragen stellt und die in Betracht zieht, dass alle verfügbaren Hilfsquellen auch genutzt werden. Damit war rasch klar, dass es sich um ein Open-Book-Konzept handeln wird, was letztendlich seinen Zweck auch erfüllt hat. Wir waren die erste Fakultät, die ihre Studien- und Prüfungsordnung dafür geändert hat. Die Universität und die anderen Fakultäten haben etwas später die gleiche Linie eingeschlagen.
DkA: In die Prüfungsordnung wurde der § 7a „Durchführung von Ersatzleistungskontrollen bei höherer Gewalt“ eingefügt. Wie lief das ab?
Zwanzger: Das Konzept und die Formulierung der Norm stammen von Marc Desens. Die Regelung selbst ändert die Klausurtypen noch nicht. Sie ermächtigt den Fakultätsrat nur, in einer Sondersituation durch einfachen Beschluss die Klausuren ganz oder teilweise durch sogenannte Online-Ersatzleistungskontrollen zu ersetzen. Das ist sinnvoll: Zum einen, weil so der Fakultätsrat schnell und flexibel entscheiden kann, ohne jedes Mal die Ordnungen ändern zu müssen. Und zum anderen, weil wir die Ermächtigungsnorm in der Prüfungsordnung lassen können, falls noch einmal kritische Situationen auftreten. Die Regelung ist im Fakultätsrat angenommen worden und dann durch die Gremien der Universität gegangen. Es gab ein paar interessierte Nachfragen, aber keinen grundsätzlichen Widerstand. Das lag wahrscheinlich auch daran, dass Alternativen rar waren. Alles andere ist dann vom Fakultätsrat mit Ersetzungsbeschlüssen geregelt worden. Der letzte ist zum Ende des Sommersemesters ausgelaufen. Für das Wintersemester brauchen wir hoffentlich keinen.
DkA: Wie stand es um den technischen Support zur Durchführung der Online-Klausuren?
Zwanzger: Der technische Support der Universität war ziemlich überfordert. Wir haben am Anfang vieles selbst machen müssen. Moodle war aber eine gute Plattform für die Online-Klausuren. Eine Gruppe von Freiwilligen hat ein Konzept ausgearbeitet und getestet. Im Vorfeld haben wir auch den Studierenden die Möglichkeit gegeben, eine Klausurabgabe auszuprobieren. Am Ende stand ein Leitfaden für die Durchführung der Klausuren. Es hat verschiedene Probleme gegeben, aber nichts wirklich Gravierendes. Alles in allem hat das System gut funktioniert.
DkA: Wenn man hört, dass alle Hilfsmittel genutzt werden können, denkt man vielleicht, dass die Klausuren sehr leicht zu bestehen sind. Hatten Sie die Sorge, dass die Ergebnisse „zu gut“ ausfallen würden?
Zwanzger: Eher das Gegenteil, und so ist es auch gekommen: Die Leistungen waren insgesamt schwächer. Nur, weil man alles nachschlagen kann, hat man noch keinen Fall gelöst. Außerdem haben sich viele Studierende wohl darauf verlassen, alles zu finden. Dann haben sie aber das Falsche gefunden oder nur Passagen aus Kommentaren kopiert. Mein Eindruck aus den Rückmeldungen war auch, dass die Subsumtion gelitten hat. Dadurch, dass Hilfsmittel genutzt werden konnten, wurde nicht mehr so nah am Sachverhalt gearbeitet. Eine echtes Problem waren die Grundlagenfächer. Hier war es wirklich schwierig, die Online-Klausuren operabel zu machen, weil Wissensfragen nicht funktionieren. Die Herangehensweisen waren sehr unterschiedlich. Ich selbst habe Thesen zur Diskussion gestellt, so dass noch eine Transferleistung dabei war. Fakten für die Lösung konnte man zwar im Internet und im Vorlesungsskript finden, die Antwort aber nicht. Das hat die Arbeiten definitiv schwieriger gemacht. Im Großen und Ganzen waren die Online-Klausuren nicht leichter und für alle gewöhnungsbedürftig.
DkA: Die Konzeption der Online-Klausuren war zunächst mit großem Aufwand verbunden. Sehen Sie im Vergleich zu Präsenzklausuren auch Vorteile?
Zwanzger: Definitiv. Ein zentraler Vorteil ist, dass man die Klausuren besser lesen kann. Das Schreiben am Computer belastet auch die Hände weniger; hier haben Examenskandidaten oft Probleme. In der Zukunft kann es sogar sein, dass wir digitale Formate in Präsenz einsetzen. Dieses Konzept wird gerade für das Staatsexamen diskutiert, aktuell fehlen uns dafür aber die technischen Voraussetzungen. Im Fakultätsrat wird außerdem die Möglichkeit diskutiert, eine Klausur durch eine Mini-Hausarbeit zu ersetzen. Man hätte dann 48 Stunden Zeit, eine circa zehnseitige Falllösung auszuarbeiten. Von vielen Kollegen wird das als realitätsnaher empfunden. Online-Klausuren werden in einigen Bereichen wohl auch bleiben, zum Beispiel in LEO. Der LEO-Klausurenkurs ist nicht verpflichtend und es gibt keine Noten, die zählen. Unterschleif ist hier kein Problem und wir brauchen auch keinen Ersetzungsbeschluss. Der LEO-Klausurenkurs im Online-Format hat in der Pandemie einen enormen Teilnehmerzuwachs verzeichnet. Für viele Studierende war es offensichtlich attraktiv, sich nicht in den Hörsaal zu setzen und am Computer zu schreiben. Es spricht einiges dafür, in LEO dieses Format beizubehalten. Je mehr Klausuren unsere Studierenden schreiben, desto besser.
DkA: Das Wintersemester 2021/22 soll nach Möglichkeit in Präsenz stattfinden. Was bedeutet das für die Klausuren?
Zwanzger: Nach den momentanen Vorgaben können die meisten Klausuren in Präsenz geschrieben werden. Problematisch ist aber, was wir mit Studierenden machen, die legitimerweise keine Präsenzklausuren schreiben können, weil sie zum Beispiel nicht geimpft werden können. Das ist noch nicht geklärt. Wenn die Restriktionen verschärft werden und wir generell keine Klausuren mehr in Präsenz schreiben können, spricht einiges dafür, das bisherige System der OpenBook-Klausur weiter zu nutzen, solange wir keinen ganz klaren Vorteil zu anderen Möglichkeiten sehen.
Vermisste Zwischentöne – Jonas Luberichs
DkA: Jonas, du warst von 2017 bis 2021 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Prof. Meyer und hast dort unter anderem Arbeitsgemeinschaften geleitet. Wie hat denn deine „AG-Karriere“ begonnen?
Jonas: Während des Studiums war ich bereits studentische Hilfskraft am Lehrstuhl von Prof. Meyer. Danach habe ich parallel zum Referendariat angefangen, als wissenschaftlicher Mitarbeiter dort zu arbeiten und auch AGs zu halten. Vor meiner ersten Stunde als AG-Leiter war ich super aufgeregt, aber es hat total Spaß gemacht. Über die Jahre habe ich dann vor allem Arbeitsgemeinschaften zum Sachenrecht im 3. Semester gehalten. Eine Strafrecht-AG habe ich auch mal geleitet, aber am meisten Spaß hatte ich immer im Zivilrecht.
DkA: Vor Corona konntest du all deine AGs in Präsenz halten. Wie sahen sie dagegen während der Online-Semester aus?
Jonas: Als zwei Wochen vor Vorlesungsbeginn des Sommersemesters 2020 feststand, dass die Uni nicht öffnen wird, gab es zunächst die Leitlinie, asynchrone Formate anzubieten, um den Studierenden aufgrund der neuen Situation mehr Flexibilität zu geben. Für die Gestaltung meiner AGs habe ich viel herumexperimentiert, vor allem mit Moodle. Vor Corona hatte ich nie mit vorbereiteten Powerpoints gearbeitet, sondern immer ein Whiteboard benutzt. Für digitale Veranstaltungen hielt ich Powerpoints aber für sehr sinnvoll und habe deshalb für jede AG-Stunde eine Präsentation vorbereitet, um die Fälle und Lösungsskizzen zu veranschaulichen. Mit der Zeit habe ich mitbekommen, dass viele AG-Leiter auf synchrone Formate, zum Beispiel auf Zoom, umgestiegen sind. Das habe ich dann auch ausprobiert und fand es sehr angenehm, wieder mehr Interaktion in den AGs zu haben. Der Mehrheit der Teilnehmenden ging das auch so, weswegen ich dann komplett auf synchrone Formate umgestiegen bin. Ich habe also meinen Bildschirm mit einer vorbereiteten Präsentation geteilt, habe gemeinsam mit allen die Lösung erarbeitet und diese dann in unterschiedlicher Ausführlichkeit hochgeladen. Ich habe gemerkt, dass im digitalen Raum die Aktivität stark abnimmt. Als AG-Leiter will ich aber eben keine Vorlesung halten, sondern Interaktion schaffen und eine Stimmung kreieren, in der es okay ist, auch mal etwas nicht zu wissen. Deswegen habe ich zusätzlich während der AGs anonyme Umfragen durchgeführt oder die Anwesenden mit Hilfe von Breakoutrooms in kleinere Gruppen aufgeteilt, um ihnen kurze Aufgaben zu stellen.
DkA: Was hast du während der Online-Semester am meisten an den Präsenz-AGs vermisst?
Jonas: Wenn man AGs online hält, sitzt man in seinem eigenen Büro und spricht ins Internet. Dadurch fehlte das Echo auf das, was man da gerade macht. Man bekommt nicht mit, ob die Studierenden noch bei der Sache sind, ob sie aus dem Fenster schauen oder im Gesetz blättern. Insgesamt wurde es viel anonymer und mir fehlten die Zwischentöne, die in Präsenz viel deutlicher da waren.
DkA: Hast du für die Umsetzung deiner AGs Vorgaben oder Unterstützung seitens des Rektorats oder der Fakultät bekommen?
Jonas: Insgesamt wurde die Planung mit heißer Nadel gestrickt. Zu Beginn hieß es, die AGs sollen erst im Mai beginnen, in der Hoffnung, sie in Präsenz halten zu können. Hatte man aber die Nachrichten verfolgt, war klar, dass das nicht möglich sein würde. Der E-Learning-Service der Uni und Prof. Zwanzger haben aber einen sehr guten Job gemacht. Am Anfang gab es die Leitlinie des Studiendekans, dass alles, was wir irgendwie auf die Beine stellen können, schon mal gut ist. Der Mindeststandard jeder AG sollten Fälle mit Lösungen sein. Unter den Lehrstühlen wurde sich auch ausgetauscht, welche Möglichkeiten es überhaupt gibt, seine AG durchzuführen. Nach den Evaluationen des ersten Coronasemesters wurde deutlich, dass die Studierenden synchrone Formate klar bevorzugen, sodass Live-AGs der inoffizielle Standard wurden. Im Endeffekt kam es sehr darauf an, wie viel Motivation und Lust man selbst hatte, Dinge auszuprobieren und sich einzubringen.
DkA: Viele Vorlesungen, aber auch einige AGs wurden aufgezeichnet. Wie hast du das gehandhabt?
Jonas: Ich habe meine AGs nur aufgezeichnet, wenn ich mal einen AG-Termin auf eine andere Zeit als die übliche verschieben musste, ansonsten aber nicht. Ich habe mich dagegen entschieden in der Hoffnung, dass es die Aktivität während der Veranstaltungen steigert und die Chance genutzt wird, live dabei zu sein, Fragen zu stellen und die AG mitzugestalten. Eigentlich bin ich ein großer Freund davon, die Leute selbst entscheiden zu lassen, was sie wann und wo machen wollen. Nichtsdestotrotz wollte ich, dass die Leute in die AG kommen und sich auch Zeit dafür nehmen. Ich verstehe aber auch, dass eine Aufzeichnung attraktiv sein kann, weil man die Möglichkeit hat, sich gezielt einzelne Sachen anzuschauen. Grundsätzlich würde ich aber trotzdem dabei bleiben, nicht aufzuzeichnen, außer natürlich, es kann zum Beispiel jemand nicht anwesend sein, weil er sein Kind betreuen muss oder Ähnliches. Bei Vorlesungen sehe ich das anders. Sie sind ein Angebot, das Studierende wahrnehmen können und für mich spricht vieles dafür, sie aufzuzeichnen. AGs leben aber davon, dass sie von beiden Seiten mitgestaltet werden.
DkA: Du hast nicht nur AGs geleitet, sondern deinen Lehrstuhl auch als wissenschaftlicher Mitarbeiter unterstützt. Was war für euch am Lehrstuhl die größte Schwierigkeit während der Online-Semester?
Jonas: Wir haben direkt zu Beginn des ersten Online-Semesters eine Wiederholungsklausur gestellt. Das abzuwickeln war für uns die größte Herausforderung. Prof. Zwanzger hat uns dafür aber einen guten Leitfaden gegeben. Außerdem war der Start in das zweite Coronasemester, was ein Semester mit möglichst vielen Hybridveranstaltungen sein sollte, sehr nervenaufreibend. Es gab viele Unklarheiten und der technische Support hat an vielen Stellen gefehlt. Grundsätzlich hatten wir Verständnis dafür, aber nachdem die Universität bereits ein Semester lang Erfahrungen mit der Online-Lehre machen konnte, hatten wir mehr erwartet.
DkA: Du verlässt zum Wintersemester 2021/22 die Universität. Möchtest du trotzdem weiterhin AGs halten?
Jonas: Auf jeden Fall! Ob in der Uni, in LEO oder in der Referendarausbildung – ich habe total Lust, weiter Lehre zu machen.
DkA: Würdest du für deine künftigen AGs wieder vollständig zum alten Präsenzkonzept zurückkehren oder hast du aus den Online-Semestern Vorteile mitgenommen, die man in die Präsenz integrieren könnte?
Jonas: Ich denke, dass digitale Formate viele Leute nicht mehr abschrecken, sondern jetzt deutlich etablierter sind. Dadurch hat man eine größere Flexibilität. Wenn ich zum Beispiel mal zu einer AG-Stunde nicht vor Ort sein kann, kann ich sie auch problemlos online halten. Während der Online-Semester bin ich außerdem ein Fan von anonymen Umfragen geworden. Sie lassen sich auch gut in Präsenz-AGs integrieren, um die Stimmung einzufangen, ob alle den Inhalt verstanden haben. So können sich auch die beteiligen, die sich nicht trauen, etwas zu sagen. Außerdem empfinde ich die Verwendung von Moodle als große Bereicherung. Für die Lehre generell würde ich mir wünschen, dass digitale Optionen erhalten bleiben, Besprechungen aufgezeichnet werden und Moodle weiterhin genutzt wird.
Die Interviews führte Anne Hermsdorf.
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