Im Umbruch?

Die Corona-Pandemie hat in zahlreichen Aspekten unseres Alltags Herausforderungen und das Verlangen nach Veränderungen aufgezeigt. Auch das Jura-Studium ist davon nicht verschont geblieben. Bereits seit Jahren setzen sich Lehrende, Studierende, JuristInnen und PolitikerInnen für eine Reform des Studiums der Rechtswissenschaften ein. Eine Bestandsaufnahme.

Im Herbst 2020 haben die Fraktionen der Parteien Die Linke und FDP im Bundestag zwei Anträge eingereicht, die zum ersten Mal seit der Einführung des Schwerpunkts im Jahre 2003 eine grundlegende Veränderung des Jurastudiums sowie des Vorbereitungsdienstes zum Inhalt haben. So fordert die FDP die Stärkung des Rechtsstandorts Deutschland durch die Anpassung der juristischen Ausbildung an das digitale Zeitalter. Der Antrag beschränkt sich dabei auf einen verstärkten Ausbau der Digitalisierung der Juristerei. So sollen Datenkompetenz und die Bedeutung der Digitalisierung durch neue Pflichtfächer oder Legal Tech-Professuren Einzug in beide Stufen der juristischen Ausbildung erhalten.

Die Linke dagegen fordert eine Erweiterung der Prüfungsstandards. So sollen die Option zum E-Examen im DRiG festgehalten, die Grundlagenfächer in ihrer Gesamtbedeutung für das Studium (zum Beispiel durch mindestens zwei statt einer Klausur) gestärkt, die Anzahl der Klausuren in der ersten Staatsprüfung auf fünf reduziert (wobei eine Klausur der Wahl der Studierenden überlassen sein soll) und Standardkommentare als Hilfsmittel zugelassen werden. Weiterhin soll bundesweit die Möglichkeit zum Abschichten geschaffen und die flächendeckende Einführung eines integrierten Bachelors umgesetzt werden. Zusätzlich setzt Die Linke sich für die Einführung des Referendariats in Teilzeit und ein unabhängigeres Korrektursystem ein. Aber sind solche weitreichenden Veränderungen denn notwendig?

Elisa Hoven, Professorin an der Universität Leipzig und Richterin am Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen, bejaht dies und begrüßt diese Vorhaben. Sie fordert ebenfalls primär eine Verbesserung der Prüfungsstandards zu Gunsten der Studierenden, allerdings mit der Abweichung von dem Antrag der Fraktion Die Linke, dass statt weniger Klausuren mehr geschrieben werden sollen. Dies soll jedoch in Verbindung mit der Möglichkeit des Abschichtens sowie einer Verschlankung des Prüfungsstoffes erfolgen. Hoven spricht sich für eine höhere Anzahl von Klausuren aus, um die Auswirkung einer schlechten Tagesleistung oder eines unbeliebten Prüfungsgebietes auszugleichen.

Eine Kernforderung von Elisa Hoven ist die Neuausrichtung des Studiums auf juristische Methodik und Arbeitsweisen. So fordert sie die Zulassung von Kommentaren in der ersten Staatsprüfung sowie eine erhebliche Reduzierung des Prüfungsstoffes. Kritik an der Verschlankung weist Hoven zurück. „Diese Gebiete müssen im Studium natürlich erhalten bleiben und ihre Beherrschung kann durch eine verpflichtende Abschlussklausur verlangt werden.“ Sie spricht sich gegen die zunehmende Ausweitung des Prüfungsstoffes aus, um so der Methodik, dem problemorientierten Denken und der sauberen Subsumtion mehr Raum zu lassen. Schließlich sind genau diese Fertigkeiten für JuristInnen relevant und nicht das Auswendiglernen einer enormen Stoffmenge. Gerade der Fokus auf die Kernbereiche schafft Raum für die Studierenden, um sich interessenbezogener und akzentuierter mit Rechtsgebieten auseinanderzusetzen, so der Leitgedanke.

Einer solche Entwicklung wollte der Bundesrat gerne verhindern. Im Februar stimmte dieser für eine Änderung des DRiG, durch welche die Bildung der Gesamtnote aus dem staatlichen Pflichtteil und dem universitären Schwerpunkt gestrichen würde. Die Bundesregierung sprach sich dagegen aus. Dennoch herrscht noch keine Gewissheit und es besteht immer noch die Möglichkeit, dass ein entsprechender Beschluss im Bundestag ergehen könnte. Dem stellten sich in der Vergangenheit vor allem der Deutsche Juristinnenbund, die Bundesrechtsanwaltkammer, der Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften sowie der Deutsche Juristen-Fakultätstag entgegen. Die Bundesregierung ließ allerdings auch die Bereitschaft zu Veränderungen im System des Jurastudiums anklingen.

Grundlegende Veränderungen des Studiums werden seit geraumer Zeit von einer Vielzahl von Lehrenden, Fachschaften und Studierenden, aber auch PolitikerInnen und praktizierenden JuristInnen angestrebt. Dabei sind von nur oberflächlichen, fast schon alibihaften Veränderungen, bis hin zu umfassenden Reformforderungen alle Facetten vertreten.

Besonders hervor sticht das von Professor Breidenbach in Zusammenarbeit mit Professorin Ulla Gläßer, LL.M. (UC Berkeley) ausgearbeitete Eckpunktepapier der „New School of Law“. Dieses beinahe revolutionäre Manifest schlägt eine ganzheitliche Veränderung des Studiums der Rechtswissenschaft vor. Der Ausgangspunkt für die Neujustierung des Studiums soll die zeitgemäße Ausbildung für den Beruf der JuristInnen sein. Es soll ein Kurs eingeschlagen werden, der weg von dem „Lernen für das Examen“ führt und der die Liebe zum Recht entfacht. Dies entspricht auch den Forderungen von Hoven, wonach die Verschlankung des Prüfungsstoffes die Qualität des Studiums erhöht.

Zugunsten des Examens nehmen viele Studierende die vielfältigen Angebote des Studiums nicht oder nur teilweise wahr. Dabei zeichnet sich das Jurastudium gerade durch seine Ganzheitlichkeit sowie Vertiefungsmöglichkeiten aus. Wie sonst soll in der Vielzahl von Rechtsgebieten der persönliche Favorit gefunden werden, wenn nicht durch Ausprobieren, Hineinschnuppern und praktische Erfahrungen? Workshops, Moot Courts, Wahlfächer und Legal Clinics, aber auch Praktika ergänzen das Studium und schaffen Raum für Experimente und Praxis. Häufig steht dabei aus studentischer Perspektive gar nicht der Inhalt der Grundlagenfächer im Vordergrund, sondern eine gute Vereinbarkeit mit dem Grund- und Hauptstudium, obwohl diese gemäß ihres Wortlauts Grundlagen für die Arbeit mit dem Recht vermitteln. Die Linke fordert deswegen die Pflicht, zwei Grundlagenfächer zu absolvieren. Damit wird einerseits die Bedeutung der Grundlagenfächer gestärkt, andererseits wird auch den nicht-examensrelevanten Gebieten mehr Relevanz eingeräumt, wodurch die Studierenden sich freier nach ihren individuellen Interessen entfalten und lernen können.

Der Wende von der enormen Stoffmenge des Studiums zu einem verstärkten Fokus auf Methodik wird häufig das Argument des „Verwässerns“ des Jurastudiums entgegengehalten. Doch dem widersprechen die meisten UnterstützerInnen des Wandels. So argumentiert Hoven, dass eine Kürzung des Prüfungsstoffes nicht mit dem Streichen der Gebiete aus dem Studium gleichzusetzen ist. Vielmehr sollen die Gebiete weiterhin Bestandteil des Studiums bleiben, aber die Examensprüfungen sollen sich stattdessen auf die juristische Methodik, beziehen, so Hoven.

Dafür spricht auch, dass alle praxisrelevanten Gebiete gar nicht im Studium behandelt werden können. Ein souveräner Umgang mit dem Recht erfordert vielmehr eben diese Fertigkeiten, denn sie stellen den gemeinsamen Nenner aller Rechtsgebiete dar. Trotz aller Unterschiede zwischen den Rechtsgebieten sind stets das juristische Denken und die Methodik gleich. JuristInnen sind in ihrer Tätigkeit regelmäßig mit Problemen konfrontiert, die nicht im Studium vorkommen, die nahezu unbekannt sind oder einfach nur selten auftreten. Dann sind gerade solche Fähigkeiten erforderlich, um eine Lösung zu finden.

Der New School of Law gehen diese Vorschläge nicht weit genug. Deren VerfechterInnen sprechen sich für eine Neuausrichtung aus. So sollen die JuristInnen der Zukunft bereits im Studium an die Rechtsgestaltung und nicht die bloße Anwendung des bestehenden Rechts herangeführt werden. Das Eckpunktepapier fordert klares und kritisches Denken sowie einen transdisziplinären Horizont als Leitbild der künftigen JuristInnen-Ausbildung. Ein Blick jenseits der deutschen Hörsäle zeigt, dass das Recht in anglophonen Fakultäten regelmäßig Diskussionsgegenstand ist oder auf dem Prüfstand steht. In einer Klausur an einer deutschen Universität wird eher selten die Frage gestellt werden, wie denn die Regelung effektiver oder gar interessengerechter formuliert werden könnte. Die New School of Law fordert Innovationen statt Erhalt und will weg vom typischen Frontalunterricht und hin zu Partizipation. Auch dies ist in den Law Schools in den USA oder in Großbritannien üblich. Elisa Hoven und viele andere ProfessorInnen haben dies bereits in ihren Veranstaltungen umgesetzt.

Eine Vielzahl von ProfessorInnen, Studierenden und PolitikerInnen fordern die Einführung eines Bachelor of Laws (LL.B.). Die Linke hat diese Forderung ebenfalls aufgenommen und auch Hoven schließt sich dem an. Im Gegensatz zu der Zulassung von Kommentaren in der ersten Staatsprüfung ist die Einführung des Bachelors laut Hoven mit hohen Kosten verbunden, aber aufgrund der Absolutheit des Staatsexamens geboten. „Es ist meiner Ansicht nach wenig fair, dass wir Studierende, die unsere Vorlesungen besucht und unsere Klausuren bestanden haben, mit leeren Händen dastehen lassen, wenn sie den staatlichen Teil des Staatsexamens nicht schaffen“, sagt Hoven. Einige Universitäten, zum Beispiel die Universität Potsdam, haben einen solchen integrierten Bachelor bereits eingeführt. Der Bachelor wird allerdings das Staatsexamen nicht ersetzen und das ist laut Hoven auch gar nicht gewollt.

Eine weitere Forderung der Fraktion Die Linke ist die Einführung des E-Examens. Dies kommt nahe an die Digitalisierungsforderung der FDP heran und würde zumindest als Option die Staatsprüfungen zeitgemäß werden lassen, da das zu einer Annäherung an die Praxis führen würde.

„Eine Klausurbearbeitung in elektronischer Form bedeutet aus meiner Sicht ein zeitgemäßes Prüfungsformat, das auch die berufliche Wirklichkeit besser abbildet“, sagt Katja Meier, sächsische Staatsministerin für Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung. Sachsen hat deshalb ein Pilotprojekt gestartet, welches die elektronische Bearbeitung der Klausuren im Zweiten Staatsexamen einführt. Die Landesjustizministerin zieht nach dem ersten Durchlauf im Februar 2021 ein positives Fazit. So nutzten fast alle ReferendarInnen die elektronische Form. Meier zeigte sich hoffnungsvoll, dass das E-Examen mittelfristig auch für die erste Staatsprüfung etabliert werden kann.

In Sachsen ist laut Meier aber keine Einführung eines integrierten Bachelors und auch keine Verschlankung des Prüfungsstoffes geplant. Die Ministerin sieht allerdings mehr Handlungsbedarf bei der Digitalisierung, wobei der Fokus auf der Einführung des E-Examens für beide Prüfungen liegt. Boris Paal, Professor an der Universität Leipzig, hat seit dem Sommersemester 2021 den Lehrstuhl für Bürgerliches Recht sowie Informations-, Daten und Medienrecht inne. Die Ministerin ist zuversichtlich, dass durch die Kooperation von Lehrenden und der Landesregierung der Sprung in das digitale Zeitalter gelingen wird.

Die Diskussionen über das Ob und Wie der Reform des Jurastudiums werden weiterhin hitzig geführt. Obwohl in Sachsen vorerst keine Verschlankung des Prüfungsstoffes geplant ist, verspricht die Umstellung auf die elektronische Bearbeitung des Examens zumindest eine teilweise Erleichterung für die Studierenden. Die Gesetzesvorhaben auf Bundesebene sind ebenfalls zu begrüßen, jedoch obliegt es den Ländern die JuristInnenausbildung konkret zu gestalten.

Leonard Constantin Hage

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