Die Logik des Rechts macht die Anwendung zugänglich für Computer, aber können intelligente Maschinen die Aufgaben von JuristInnen übernehmen? Auf dem gesamten Arbeitsmarkt wird immer häufiger vorhergesagt, dass algorithmierbare Tätigkeiten technisch ersetzbar sind. Doch wie sehr sind die klassischen juristischen Berufe von den teilweise prognostizierten „Subsumstionsautomaten“ gefährdet? Nicht nur in der Anwaltschaft wird die Verunsicherung aufgrund der Möglichkeiten rund um Legal Tech größer. Auch Studierende packt die Ungewissheit, wenn selbstbewusste Informatiker das Ende ganzer Berufsgruppen für möglich halten. Denn rund um das Thema der digitalen Revolutionierung der Arbeitswelt werden immer wieder Verwaltungsfachleute, SteuerberaterInnen, BuchhalterInnen und andere Berufsgruppen zusammen mit JuristInnen genannt, wenn es um die Betroffenheit bei disruptiven Technologien geht.
Legal Tech beschreibt dabei keine einheitliche Technologie. Hiervon ist bereits die Rede wenn überhaupt technische Hilfsmittel beispielsweise in Kanzleien eingesetzt werden. Videokonferenzen, Onlinekommunikation, Organisationssoftware und digitale Verwaltung in Büros sind bereits technische Errungenschaften, welche sich unter diesen Begriff fassen lassen und heutzutage – beschleunigt auch durch die Coronapandemie – in den meisten Bereichen Standard sind. Ebenfalls verbreitet ist mittlerweile der Einsatz von Software, die einheitliche und wenig kontroverse Aufgaben automatisieren kann. Standardisierte Bereiche können somit von Software übernommen werden und Arbeitslasten minimieren (zum Beispiel: Erstellung eines Vollstreckungsantrags). Aber gerade auf diesem Feld gibt es noch einige ungenutzte Potenziale, welche zukünftig einen wünschenswerten Effizienzgewinn in der Justiz mit sich bringen könnten. Besonders interessant sind jedoch Technologien, welche unter Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) juristische Aufgaben zu lösen im Stande sind. Hiervon ist auch zumeist die Rede, wenn über das Veränderungspotenzial von Legal Tech gesprochen wird. Der Einsatz solcher Technologien ist ferner noch nicht in die Arbeitswelt vorgedrungen. Durchbrüche gab es im Zusammenhang mit KI in den letzten 20 Jahren jedoch schon einige. Der intelligente Computer Watson besiegte schon 2011 einen Menschen in dem Ratespiel Jeopardy!. Die KI Libratus besiegte 2017 einen menschlichen Gegner im Poker. Im Jahr 2018 schnitt eine KI besser als Menschen ab, als es um Aufgaben im Leseverständnis ging. Die Fähigkeiten von Computersystemen wachsen also stetig und immer wieder werden Erfolge verzeichnet, bei denen sicher geglaubte menschliche Domänen von intelligenten Systemen überholt wurden.
Ein Subsumstionsroboter – geht das?
Am Anfang des Jurastudiums steht das Erlernen der juristischen Arbeitsweise ganz oben auf der Agenda. Die Subsumtionstechnik ist fester Bestandteil des gesamten Studiums und darüber hinaus Leitfaden für die logische Lösungsfindung. Passende Rechtssätze werden mit den gegebenen Information verglichen und auf Übereinstimmungen und Unterschiede untersucht. Ähnlich arbeiten Datenverarbeitungsanlagen, welche ebenfalls eingespeiste Daten miteinander vergleichen und anschließend ein Ergebnis ausgeben, welches entweder „wahr“ oder „falsch“ ist. Abhängig von dem Ergebnis kann dieses Prinzip immer wieder angewandt werden, wodurch komplexe Algorithmen entstehen können. Möchte man beispielsweise aus einem unsortierten Pool an Zahlen eine aufsteigende Zahlenkette erstellen, würde der Algorithmus die Zahlen miteinander vergleichen und entsprechend ihrer Größe in die Zahlenreihe einordnen. Für die Programmierung einer Legal-Tech-Software müssen demnach Rechtsnormen algorithmiert, sprich in Binärcodes umgeformt und nach dem Anwendungsprozess in ein sprachlich verständliches Ergebnis zurück übersetzt werden. Neben dieser einfachen Datenverarbeitung kann das maschinelle Lernen bei der Ergebnisfindung Muster erkennen und diese auf unbekannte Situationen anwenden. Aufgrund von umfangreich eingespeisten Datenmengen ist somit eine Problemlösung über die Strukturen der Datenverarbeitung hinaus möglich. Solche lernenden Systeme sind jedoch ebenfalls determinierte Programmcodes und vermögen noch kein eigenes Bewusstsein zu entwickeln, womit sie keine künstliche Intelligenz erreichen. Es zeigt sich, dass Rechtsanwendung durch Technologien nur dann funktioniert, wenn sich der Rechtsanwendungsvorgang vollständig in einer Programmiersprache darstellen lässt. Hierfür spricht die formale Logik der Rechtsnormen, welche konditional aufgebaut sind. Sind die Tatbestandsvoraussetzungen zu bejahen, ergibt sich hieraus das in der Norm angelegte Ergebnis. Diese Methodik weist große Schnittpunkte mit der Arbeitsweise einer Software auf, wodurch die Anwendungsmöglichkeit durch Softwaretechnik eröffnet scheint. In manchen Bereichen ist die Möglichkeit mittels Software Rechtsanwendung zu betreiben auch gar nicht mehr von der Hand zu weisen. Flightright, Geblitzt.de, Smartlaw und viele weitere Unternehmen haben Legal-Tech-Software für juristische Bereiche entwickelt, welche es privaten KundInnen ermöglicht, ohne anwaltlichen Kontakt Beratung und Rechtsdurchsetzung wahrzunehmen. Bei simpel strukturierten Rechtsgebieten, in denen die Rechtsanwendung offensichtlich ist, funktioniert die softwarebasierte Subsumtion auch immer besser. Doch zu berücksichtigen ist – und von der Mehrheit auch anerkannt – dass solchen Normen über ihren konditionell logischen Aufbau hinaus mitunter gesellschaftliche oder politische Implikationen immanent sind. Insbesondere bei unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln (beispielsweise § 242 BGB) ist eine gründliche juristische Arbeit unentbehrlich, welche Wertungen erfordert und bei unterschiedlicher Gewichtung auch zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen kann. Bei der Bearbeitung von juristischen Sachverhalten durch Software können diese Implikationen noch nicht vollständig berücksichtigt werden. Das Ergebnis einer Legal-Tech-Software suggeriert somit den Eindruck, dass es auf jeden Sachverhalt eine eindeutige Antwort gibt. Anders jedoch als die rein logische Bearbeitung durch Software ist ein Ergebnis mit juristischer Methodik durch den Menschen immer dann anzuerkennen, wenn es durch Auslegung der einschlägigen Normen ausreichend begründet wurde. Es geht also nicht immer um wahr oder falsch (um 1 oder 0), sondern um die Frage, ob das Ergebnis vertretbar ist. Wie bereits erwähnt, gibt es über die statische Datenverarbeitung hinaus immer besser werdende Musteranalysen. Diese sind im Stande, aus gesammelten Daten Muster zu erkennen und somit auch für unbekannte Fälle durch die Erkennung eines vergleichbaren Falles aus der Datenbank Ergebnisse zu liefern. Im angloamerikanischen Rechtskreis scheint diese Möglichkeit durchaus attraktiv zu sein um Präzedenzfälle ermitteln zu können (Stichwort: case law). Doch die Rechtsanwendung – natürlich nicht nur im europäischen Rechtskreis – geht über eine Ähnlichkeitsanalyse hinaus. Gerade aus der Würdigung jedes Einzelfalls können sich eine dynamische Rechtsfortbildung und neue Argumente herausbilden. Was gerecht und billig ist, unterliegt einem gesellschaftlichen Wandel, worauf gut geschriebene Normen durch ihre Unbestimmtheit reagieren. Diese Variabilität ermöglicht die zeitgemäße Rechtsanwendung, bei der der jeweilige Interessenskonflikt in seiner Einzigartigkeit berücksichtigt werden kann. Es zeigt sich, dass die Subsumtion bei dem jetzigen Stand der Technik eine menschliche Domäne bleibt. Für eine Ebenbürtigkeit von Legal-Tech-Anwendungen fehlt es der Technik noch an der Möglichkeit, sogenannte „weiche“ Entscheidungsfaktoren zu berücksichtigen. Empathie, Vorverständnis und die Möglichkeit, Wertungen im Spiegel des Ist-Zustandes zu leisten, gelingt noch nicht.
Auswirkungen und Möglichkeiten
Zu diesem Zeitpunkt und mittelfristig wird es Legal-Tech-Anwendung nicht gelingen, die Kernaufgaben von JuristInnen zu übernehmen. Dennoch steht fest, dass sich durch Softwareanwendungen insbesondere repetitive Arbeitslasten einsparen lassen können. Dadurch können im Idealfall Freiräume geschaffen werden um sich den interessant und komplex liegenden Fällen zu widmen, oder schlicht Arbeitslasten minimiert werden. Bei einer breitflächigen Integration von Legal Tech bei der Bearbeitung von Rechtsangelegenheiten ist weiterhin ein Effizienzgewinn zu erwarten. So könnte erreicht werden, dass sich der Aufwand bei kleineren Streitwerten in ein rentables Verhältnis verschiebt, wovon Rechtssuchende profitieren könnten. Die sich weiterentwickelnde Technik birgt viele Möglichkeiten, Rechtsberatung und -durchsetzung zu beschleunigen und für JuristInnen zu entschlacken. Besonders Laien können Legal-Tech -Anwendungen zur Rechtsprüfung nutzen, um bei rechtlichen Fragen einen Überblick zu bekommen. Wie obig dargestellt wird das juristische Arbeiten nicht von Legal Tech verdrängt werden können. Neue technische Anwendungen werden vielmehr eine Unterstützung bei der Arbeit darstellen. Wird die Technik Arbeitslasten soweit minimieren können, dass zuvor benötigte Arbeitskraft nicht mehr in dem Umfang nötig sein sollte, könnten auch ArbeitnehmerInnen hiervon betroffen sein. Genauso jedoch werden mit Legal Tech auch neue Berufsfelder neben den klassischen juristischen Tätigkeiten frei. Denn damit Legal-Tech-Instrumente von InformatikerInnen entwickelt werden können, müssen JuristInnen formulieren, welche Methoden dabei zu beachten sind. Gerade auch Großkanzleien setzen Legal-Tech-Software schon vermehrt ein. Beispielsweise für Compliance oder Due-Diligence-Prüfungen gibt es bereits Anwendungen, welche diese arbeitsintensiven Aufgaben übernehmen können. Tendenziell skeptischer hingegen stehen breiter aufgestellte JuristInnen Legal-Tech-Anwendungen gegenüber. Wie obig aufgezeigt gibt es jedoch keine berechtigte Sorge, in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Doch JuristInnen, welche mit der Bearbeitung von Sachverhalten des täglichen Lebens ihr Gehalt erwirtschaften, ist anzuraten, sich vor den neuen Anwendungen nicht zu verschließen, auch um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Legal Tech und Studium
Legal Tech verändert also bereits das Berufsbild und die Arbeitsweise von JuristInnen. Dabei ist die zukünftige Bedeutung von Legal Tech nicht vollends zu antizipieren, wohl aber nicht zu unterschätzen. Auf diese Veränderung müssen die Institutionen der juristischen Ausbildung reagieren. Wenn immer häufiger Legal-Tech-Anwendungen auf dem Arbeitsmarkt zum Einsatz kommen, müssen Studierende die technischen Grundlagen und Funktionsweisen von Legal-Tech-Anwendungen erlernen um diese richtig und methodisch sinnvoll einsetzen zu können. Dabei sollen Studierende nicht Programmieren und Programmcodes lesen lernen und die Fertigkeiten eines InformatikeiInnen beherrschen. Sinnvoll wären jedoch Angebote für Studierende, bei denen Anwendungsfälle und grundlegende Strukturen von Smart-Contracts oder Blockchain-Technologie erlernt werden könnten. Welche genauen Inhalte zukünftig auf den Lehrplänen stehen sollten, ist noch nicht vollständig geklärt. Es gibt jedoch bereits Initiativen, sinnvolle Ausbildungsinhalte zu evaluieren (Initiatoren: Legal Tech-Unternehmen Lex Superior, European Law Students Association (ELSA), die Bundesfachschaftentagung, Veranstalter der Branchenmesse Legal Evolution). Solche Vorstöße sind zu begrüßen, denn nach derzeitigen Stand ist eine strikte Arbeitsteilung zwischen InformatikerInnen und JuristInnen nicht zukunftsweisend. Auch die juristische Arbeitsteilung wird interdisziplinärer werden müssen, um zukünftige JuristInnen auf die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt vorzubereiten.
Anton Knigge
Kommentar verfassen