Studieren mit Corona

Zu Beginn letzten Jahres erreichte das neuartige Coronavirus Europa. Vor der Uni Leipzig machte es dabei keinen Halt. Statt Mensa-Essen und Nachmittagen in der Bibliothek standen nun Zoom- und BigBlueButton-Meetings in den eigenen vier Wänden auf dem Tagesplan.

Um trotz der infektionsbedingten Schließung sämtlicher Universitätsgebäude alle Lehrveranstaltungen anbieten zu können, wurde die Lehre zu Beginn des Sommersemesters 2020 vollständig auf Online-Formate umgestellt. Zunächst mag eine derartige Veränderung der Lernsituation für manche eine willkommene und entspannte Abwechslung sein. Schließlich muss man sich nicht mehr morgens im Halbschlaf in überfüllte Straßenbahnen stellen, um dann in vollen Hörsälen einen Platz zu finden. Stattdessen reicht es, sich fünf Minuten vor der Veranstaltung im eigenen Zimmer an seinen Laptop zu setzen. Ob man schon geduscht oder überhaupt seinen Schlafanzug für Alltagskleidung gewechselt hat, interessiert da niemanden.

Für die Meisten stand jedoch in den vergangenen zwei Semestern die Belastung, die ein unvorhergesehenes Onlinestudium mit sich bringt, im Vordergrund. Auch wenn Plattformen wie Moodle oder Tools wie Etherpads einigen schon aus vorherigen Semestern bekannt waren, stellte der umfassende Umgang mit neuen Plattformen sowohl Dozierende als auch Studierende auf die Probe. Es beginnt bei den kleinen Dingen, sich neunmal zu vergewissern, ob das Mikrofon wirklich stummgeschaltet ist, bevor man mit der Mitbewohnerin redet, und führt zur Verzweiflung, wenn der Dozent in der Vorlesung plötzlich auf den falschen Knopf kommt, die PowerPoint-Präsentation schließt, Hilferufe der Studierenden nicht hört, weil er den Chat nicht mehr sieht und zu guter Letzt auch noch den Anruf seines Mitarbeiters, der ihn über das Problem informieren will, wegdrückt.

Das sind natürlich nur die unterhaltsamen Komplikationen onlinebasierter Veranstaltungen. Dass manche Dozierende im Sommersemester 2020 schlichtweg keine Live-Veranstaltungen hielten, sondern lediglich Materialien und Literaturhinweise zur eigenen Erarbeitung hochluden, stellte Studierende vor viel größere Probleme, die weder mit einem Lacher vergessen werden konnten, noch schnell gelöst wurden. Hinzu kam der Umstand, dass die Universitätsbibliothek in den letzten beiden Semestern größtenteils geschlossen bleiben musste. Somit wurde aus Besuchen des Petersbogens oder der Campusbib nichts und der eigene Schreibtisch musste herhalten. Dass das Lernumfeld in der eigenen WG mit Mitbewohner*innen, die auch von zu Hause aus studieren, mehr als ungünstig ist, wird dabei für viele nichts neues sein.

Sowohl Zoom, BigBlueButton als auch YouTube bieten die Möglichkeit, Meetings beziehungsweise Livestreams aufzunehmen und anschließend zur Verfügung zu stellen. Viele Dozierende nutzten diese Möglichkeit jedoch nicht. Hintergrund dessen war oft, dass man Studierende zu Live-Veranstaltungen motivieren wollte. In der Tat erinnern solche Veranstaltungen zumindest etwas an die Zeit des Präsenz-Studiums. Man kann sie synchron mit den Mitstudierenden verfolgen, direkt Fragen oder Antworten anbringen und so der Hörsaal-Atmosphäre etwas näher kommen. Sind stattdessen alle Veranstaltungen online als Mitschnitt verfügbar, ist die Gefahr groß, die eine oder andere Vorlesung sausen zu lassen. Doch das Aufzeichnen von Veranstaltungen bringt auch Vorteil gegenüber Veranstaltungen vor Ort mit sich. Zeitliche Überschneidungen sind weniger problematisch und das Nacharbeiten von Vorlesungen mithilfe der Aufzeichnungen ist deutlich schneller und einfacher. Gerade mit Hinblick auf den geringen Zeitaufwand für Dozierende sind die Vorteile für Studierende groß.

Während eines nationalen Lockdowns zu studieren ist zweifelsfrei für jede*n eine Herausforderung. All die genannten Probleme führten bei einem Großteil der Studierenden zu einem riesigen Motivationstief. Trotz der demotivierenden Situation gab es aber auch Lichtblicke. Seitens des LJPA bleiben das Sommersemester 2020 sowie das Wintersemester 2020/21 bei Berechnung der Freiversuchsfrist unberücksichtigt, sodass der Freiversuch nach hinten verschoben werden kann. Zu Beginn der Pandemie wurde von der Uni ein umfangreicherer Beck-Online-Zugang bereitgestellt, der nicht nur wie zuvor vom universitären WLAN, sondern nun auch per VPN-Verbindung von zu Hause aus genutzt werden konnte. Nicht zu vergessen sind aber auch die Bemühungen vieler Personen an der Fakultät, Angebote zur Verfügung zu stellen, um Studierende im suboptimalen Lernalltag zu unterstützen. So zum Beispiel die Universitätsbibliothek, die Online-Workshops zum Umgang mit dem neuen, umfangreicheren Angebot an Datenbanken und Online-Inhalten für die Rechtswissenschaften abhielt.

Die Pandemie verändert nicht nur Vorlesungen, Seminare und Arbeitsgemeinschaften, sondern vor allem auch Klausuren. An die Stelle von Präsenzklausuren traten sogenannte „Online-Ersatzleistungskontrollen“. Neben der Option, statt Papier und Stift auch Microsoft Word nutzen zu können, lag der entscheidende Unterschied in den zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln. Nicht nur Gesetzestext und Taschenrechner, um den Zugewinnausgleich auch ja richtig zu berechnen, waren erlaubt, sondern „die Verwendung von Lehrmaterial aller Art einschließlich aller online verfügbaren Hilfsmittel“. Diese Erweiterung war die gebotene Reaktion darauf, dass die Verwendung unzulässiger Hilfsmittel während Online-Klausuren nicht kontrolliert werden kann. Das Umstellen auf open-book Klausuren war folglich die einfachste Lösung. Doch die Möglichkeit, Kommentare oder Vorlesungsskripten während einer Klausur zu nutzen, war an manchen Stellen nicht nur hilfreich, sondern vielleicht sogar fortschrittlich.

Ob aus der Politik oder direkt aus Universitäten, schon lange kommt von vielen Seiten die Forderung, Prüfungen – dabei vor allem das Examen – sowohl zu digitalisieren, als auch die zugelassenen Hilfsmittel zu erweitern. Denn niemand wird später in seiner*ihrer juristischen Berufstätigkeit mit der Aufgabe konfrontiert werden, in wenigen Stunden ohne jegliche Hilfen einen Fall zu lösen. Das ist weder die Realität, noch ein Anspruch an juristische Arbeitspraxis.

Möglicherweise waren die vergangenen zwei Semester also ein mehr oder weniger freiwilliger Testlauf für eine sinnvolle Reform der juristischen Ausbildung. Was Dozierende aus diesem Umstand und der Lehre der beiden bisherigen Corona-Semester mitgenommen haben und was sich dadurch in zukünftigen, coronafreien Semestern für Jurastudierende an unserer Fakultät ändern könnte, wird ein Thema der nächsten Ausgabe sein.

Anne Hermsdorf


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