Gibt es ein Erfolgsrezept für das juristische Studium? Wohl ja, wenn man mit „Erfolg“ das bloße Bestehen des Examens meint. Dafür genügen ein Mindestmaß an Begabungen, die für juristisches Arbeiten spezifisch sind, und gehörige Portionen Disziplin und Selbstorganisation, die zu harter Arbeit befähigen. Dann sollte es bei Inanspruchnahme des „Freiversuchs“, die heute ohnehin jedem zu raten ist, mit den Verbesserungsmöglichkeiten gut gehen. Und schließlich ist nicht jeder, der das 1. Examen mit 4 Punkten abschließt, auch in der Praxis ein schlechter Jurist. Ihm öffnen sich nur schwerer die Türen. Schwieriger wird die Sache, wenn ein Prädikat (vollbefriedigend und mehr) erreicht werden soll, das nach der Statistik einen Kandidaten von der großen Zahl Studierender abhebt – also entsprechend schwerer zu erreichen ist, statistisch! Und noch ganz anders müsste die Antwort ausfallen, wenn es um den Lebenserfolg als Jurist:in geht. In jedem Fall sind es weitaus mehr die Fähigkeiten als die Kenntnisse, die über den Erfolg entscheiden. Ich sehe die Kenntnisse heute weitgehend nur als eine Art Übungsmaterial, an dem die spezifisch juristischen Fähigkeiten trainiert werden. Angesichts der riesigen Stofffülle unterliegen Juristen im Berufsleben einem hohen Zwang zur Spezialisierung, die schon im Studium (mit der Schwerpunktbildung) einsetzt und im Beruf zu einer Art Nischendasein führt, auch wenn die meisten Juristen in ihrem Berufsleben viele Nischen aufsuchen. Das gilt übrigens auch für Richter:innen. Man schaue sich nur die Geschäftsverteilungspläne der Gerichte an, in denen die Rechtsmaterien auf die Kammern und Senate aufgeteilt sind. Im Verwaltungsrecht kommt man da leicht auf 50 Gebiete, die niemand gleich gut beherrschen kann. Unter den Richter:innen finden man sich daher Spezialist:innen für Asylrecht, Eisenbahnregulierung, Krankenhausplanung bis hin zu ZVS-Recht, was es für weniger spezialisierte Anwält:innen schwer macht, im Prozess zu agieren. Wer würde im Studium an solche Exoten denken? Mich hat die unvorhersehbare Vielfalt meiner Tätigkeiten gelehrt, dass es aussichtslos und auch sinnlos ist, schon im Studium alles lernen zu wollen. Entscheidend ist die Fähigkeit, mit allem- dem völlig Neuen, dem Unvorhersehbaren, dem unbekannten Rechtsgebiet – fertig werden zu können.Fähigkeiten müssen aus Begabungen heraus entwickelt werden, die Studierende schon mitbringen und im Studium ausbauen müssen. Zu ihnen gehören logischesDenkvermögen (die Fähigkeit, aus Umständen Schlüsse ziehen zu können), analytisches Denkvermögen (die Fähigkeit, Ähnliches voneinander unterscheidenzu können), Systemdenken (die Fähigkeit, Entscheidungen unter Beachtung vorgegebener Regeln zu treffen) und die Fähigkeit, das Allgemeine im Besonderen (den Grundsatz im Fall) wiederzuerkennen. Kaum zu überschäützen ist die Fähigkeit, Interessen und Motivlagen der Akteure eines Falles zu durchschauen, ohne sich dazu verleiteten zu lassen, an Interessen auch die rechtliche Lösung auszurichten. Der Jurist muss diese Fähigkeiten aber auch nutzen können, um seine Ergebnisse nach „außen“ zu transportieren: andere zu überzeugen. Das Medium dazu ist die Sprache, die geschrieben wie die gesprochene. Argumentieren ist Kernkompetenz und Lebenselixier. Das gilt nicht nur für Studierende, die ihren Prof oder Prüfer von ihrer Kompetenz überzeugen müssen; das gilt für Anwälte, die das Gericht und ihre Mandanten überzeugen müssen und für Richter, die den Kolleg:innen ihrer Richterbank ihre Gutachten schmackhaft machen wollen – um nur einige Beispiele zu nennen. Der Sprachunbegabte arbeitet im Grundbuchamt, wie mein Doktorvater es leicht bösartig auf den Punkt brachte. Seine Vorlesungen waren Kult, weil er höchst sprachbegabt und witzig war, man ihm gerne zuhörte und er das Komplizierteste verständlich machen konnte. Das persönliche Maß juristisch nötiger Begabungen lässt sich übrigens tendenziell an der Deutschnote und der Mathematiknote im Abitur ablesen. Aber auch das muss nichts heißen. Von dem nicht zu ändernden Startpunkt unterschiedlicher Begabungen aus muss es jedem darum gehen, sich maximal zu entwickeln und, aus seinen persönlichenBegabungen das meiste herauszuholen. Die Steigerung von Fähigkeiten ist ohnehin ein lebenslanger Prozess. Meiner Erfahrung nach gibt es eine fundamental wichtige Zutat für Fortschritt in dieser Hinsicht: Das ist die Freudean dem, was man tut. Sie wird den Studierenden aber von jeher zunächst einmal vergällt, wenn sie schon im ersten Semester mit den abstrakten und scheinbar lebensfernen Gebilden wie Willenserklärung, Stellvertretung, dem Rechtsstaatsprinzip usw. konfrontiert werden. Auf Dauer wird aber nur die Begeisterung dafür, was im Studium geboten wird, die nötige Kraft fürs Durchhalten geben. Diese Freude wurzelt in der Juristerei lebenslang im Interessean den sozialen Konflikten und, persönlichen Nöten von Menschen,und in der Neugier darauf, wie etwas rechtlich geregelt ist und juristisch bewältigt werden kann, im „Appetit“ daran, was die Prinzipien sind, nach denen Interessenkonflikteaufgelöst werden und wie im Streitfall überzeugend entschieden werden kann. Die Freude kann – und ich vermute: sie wird – den Allermeisten im Laufe des Studiums irgendwann einmal abhanden kommen, und natürlich ist sie nicht in jedem Rechtsgebiet gleich stark ausgeprägt. Dem trägt der Gesetzgeber mit der Möglichkeit Rechnung, Schwerpunktfächer zu wählen. Motivationseinbußen muss jeder selbst bewältigen. Das gelingt meist, indem man das Ziel fest im Blick behält, wofür man die Plackerei auf sich nimmt. Dabei helfen Gespräche mit Älteren, die es geschafft haben, oder mit Praktikern über ihren Berufsalltag. Das macht, finde ich, den erfahrenen, externen Lehrbeauftragten an einer Uni so interessant und wichtig.Damit komme ich zum schwierigeren Teil: der harten Arbeit. Aber man muss sich den Stoff nicht nur hart, also beharrlich, fortlaufend und unter Verzicht auf Vergnügungen aneignen, man muss es auch auf die richtige Weise tun. Dazu gehören eine Menge Selbstdisziplin und Kenntnisse darüber, wie das menschlicheGehirn funktioniert. Ich habe hier viel aus eigenen Misserfolgen lernen dürfen (Warum war der Kopf am Montag leer, obwohl ich das Wochenende durchgelernt hatte?), später aber auch von der viel zu früh verstorbenen Vera F. Birkenbihl(https://vera-birkenbihl.de), der genialen Lehrerin und Leiterin eines Instituts für gehirn-gerechtes Arbeiten, deren Vorlesungen man auf YouTube nachhören kann.Das Geheimrezept der Stoffanreicherung im Gehirn heißt danach Pausen, Langeweile und richtige Wiederholungen. Ich hatte oft die besten Einfälle, fand die kreativsten Lösungen oder endlich die Formulierung, um die ich stundenlang gerungen hatte, wenn ich mit dem Hund um den Block gehen, an einem Bahnsteig warten, den ungeliebten Abwasch machen musste oder auf einer Feier mit dem Kopf „ganz woanders“ war. Die Zeiten haben sich leider geändert. Das seelig-unseelige Thema „Handy“, die Ablenkung durch ständig verfügbare Informationen und das Angestoßenwerden von außen durch Nachrichten unterbinden die für das Gehirn so wichtige Langeweile, zertrümmernunsere Aufmerksamkeit und die Fähigkeit, ganz bei dem zu sein, was wir gerade tun. Wie viele von Ihnen verstoßen gegen die Prinzipien von Lernen, Pausen und Wiederholung, Hand aufs Herz? Wer glaubt, mit Dauerlernen das Maxim erreichen zu können? Und wer macht sich dann Vorwürfe, wenn er/sie das nicht durchhält? Ich habe eine gute Nachricht: Die Dauerlerner sind am Ende die Verlierer, weil sie mit ihrem Gehirn in Konflikt geraten. Lernen ist ein Prozess in der Zeit, stetige Entwicklung und Fortschritt wie in einem Fahrstuhl, der sich millimeterweise in einem Hochhaus nach oben bewegt: Ich sehe nach und nach immer mehr Wohnungen (juristische Details), überblicke aber auch kegelartig wachsend das Gelände (die systematischen Zusammenhänge) um das Haus herum. Das braucht Pausen und Ablenkung zur richtigen Zeit. Von daher macht derjenige etwas Grundlegendes falsch, wer das Versäumnis stetigen Lernens durch Zwangsaufenthalte am Schreibtisch kurz vor einer Klausur auszubügeln versucht. Das kann, muss aber nicht gut gehen, und gefüttert wird nur das Kurzzeitgedächtnis. Ich weiß, wovon ich rede. Jeder pflegt zumindest hin und wieder dieses Muster, ich gelegentlich auch bei Gutachten, die etwas zu lange unbearbeitet geblieben sind. Es geht also nicht um Vorwürfe, die niemanden weiterbringen. Es geht um die Einsicht, was man besser machen kann oder um die Erkenntnis der „Kosten“, die wir für Fehler zahlen müssen. Neben Pausen gehören die richtigen Wiederholungen zu den elementaren Bausteinen des Lernerfolgs. Natürlich hilft ein gutes Gedächtnis sehr, aber auch das lässt sich trainieren. Man muss es nur tun. Teil von Wiederholungen ist die Nacharbeit. Es ist ein grober Fehlschluss zu meinen, weil man in einer Vorlesunggesessen oder den Nachmittag beim Repetitor verbracht habe, sei alles getan. ImGegenteil, die Arbeit fängt danach erst an. Das eigene Erinnern, das selbstständige Nach- und Durchdenken des Gehörten bewegt das Gehirn dazu, Stoff für relevant zu erklären und in wiederzuöffnenden Behältern (Gehirnarealen) vorrätig zu halten. Um den Inhalt auch auf Dauer präsent zu haben, muss man den Stoff in bestimmten Abständen wieder reaktivieren. Typischerweise sollen und dürfen sich die Pausen dazwischen verlängern: Die Zweitaneignung sollte alsbald, am Tag nach der Erstaneignung z.B. in einer Vorlesung erfolgen, Wiederholungen dann in einer Woche und nochmal in drei Wochen – das genügt in der Regel, um Stoff für längere Zeit verfügbar zu haben. Am stärksten scheint zu wirken, wenn man Wissen in unterschiedlichen Zusammenhängen repetiert. Ein eher technisches Problem, das aber nicht unwichtig ist, scheint mir zu sein, wie man eine zeitsparende Wiederholung ermöglicht. Es geht nicht darum, bei der Wiederholung schlicht alles noch einmal zu lesen, was man schon gelesen hat. Es geht um das Sich-Erinnern. Dazu genügen Stichworte, Kernsätze und Beispiele, die die Wächter in meinem Gehirn dazu bewegen, Erinnerungsbehälter, in denen schon vieles vorrätig ist, erneut zu öffnen. Ich habe das Gelernte meist auf Karteikarten notiert, die den gesamten Stoff eines Problemkreises enthielten, optisch aufbereitet waren und ihn gewissermaßen auf einen Blick zugänglich machten. Dazu habe ich immer notiert, welche Quellen ich benutzt hatte. Solche Karten lassen sich aktualisieren und ergänzen. Ein ähnliches Verfahren nutze ich für manche Zwecke immer noch.Aber das macht jeder anders, und sicher steht heute die Frage im Raum: Wie undwofür nutze ich die Elektronik? Ich kann mir nicht helfen, aber zum Lernen finde ich etwas Haptisches nach wie vor allenm anderen Techniken überlegen: Das Buch, in dem ich auf Seite X etwas angestrichen habe, die Karteikarte, von der ich weiß, wo sie liegt und wie sie aussieht, oder den Ausdruck eines Gesetzestextes, den ich mit Notizen übersäht habe. Der Mensch ist ein Augentier und erinnert sich nicht leicht an das, was er in den Weiten des Internets gefunden oder auf einem Stick abgelegt hat. Natürlich organisiert jeder seine Wiederholungen etwas anders, aber dabei geht es nur um das schnelle Auffrischen. Nicht selten wird man dabei erleben, wie weit man schon wieder mit Erkenntnissen vorangekommen ist und was daher auf der „Karteikarte“ zu verbessern oder zusätzlich zu notieren ist. Das ist sichtbarer Fortschritt, der Freude macht. Die Elektronik hat ihren guten Sinn in anderen Zusammenhängen,insbesondere beim schnellen Auffinden von Informationen, bei der Systematisierung von Stoff und der Kommunikation. Aber sie hilft meines Erachtens wenig, wenn der Stoff in den Kopf gelangen muss.Der Wiederholung voran geht die richtige Aneignung von Stoff, die Arbeitsweise. Zentrales Problem erscheint mir dabei, wie man mit der unendlichen Stofffülle des Rechts zurecht kommt. Im Studium ist eine Spezialisierung nur begrenzt möglich – sie wäre wohl auch schädlich, weil der spezielle Baustein auch in der Juristerei nur im großen Zusammenhang Sinn macht. Das bringt eine schwer zu ertragende Unsicherheit in das Studium. Niemand ist davor gefeit, im Examen mit Rechtsfragen konfrontiert zu werden, die er schlicht nicht gelernt hat. Das Universum von Rechtsproblemen ist schier unendlich groß, und das Bemühen hoffnungslos, „alles“ schon einmal gehört, gelernt, durchdacht zu haben, bevor man ins Examen geht. Die Unbeherrschbarkeit der Stofffülle begleitet jeden von uns das ganze Leben. Aber wie kann man damit Examen machen? Durch einen radikalen Strategiewechsel. Was mich als junger Richter komplexe und fremdartige Fälle aus dem Lastenausgleichsrecht hat lösen lassen, konnte nicht meine Kenntnisse in diesemRechtsgebiet sein. Es waren meine Fähigkeiten, die Aufgabenstellung richtig zu erfassen, den Fall danach konsequent zu durchdenken, die rechtlichen Ansätze zu entdecken und methodisch-systematisch an die Lösung zu gehen. Alle Zutaten, die der Examenskandidat darüber hinaus braucht (Sachverhalt, Normen), sollten im Klausurentext mitgeteilt sein, die allgemeinen Rechtskenntnisse im Studium vermittelt worden sein. Wenn das so ist, muss mansich im Studium auf den Ausbau der Fähigkeiten zur systematischen Erarbeitung von Fällen und auf die Methodenkenntnisse konzentrieren und Stoff und Rechtsgebiete weitgehend als Trainingsgelegenheit betrachten, um die grundlegenden Prinzipien zu erlernen, von denen Rechtsgebiete typischerweise beherrscht werden.Ein weiteres Hauptproblem des juristischen Lernens besteht im Wiedererkennen: Was man sich systematisch, lehrbuchartig angeeignet hat, muss im Fall, also in einer Lebenssituation als Lösungsansatz wiedererkannt werden. Jeder weiß, dass das Auffinden des Hinweges – das Lernen abstrakter Regeln – nicht auch schon den Rückweg – die Anwendung der Regeln im Fall – garantiert. Deshalb gehört beides aufs Engste zusammen, das abstrakte Problem mit der Lebenssituation, in der es mehr oder weniger versteckt vorkommt. Das macht den Wert von Fallbeispielen aus, die man sich vielfältig und so lebensnah wie möglich zu jeder abstrakten Rechtsfrage merken muss. Wo wird die Regel relevant? Daher habe ich mir angewöhnt, zu jeder Rechtsregel gleich den oder die Beispielsfälle aus der Praxis zu notieren oder in der Vorlesung zu nennen.Zur richtigen Arbeitsweise gehört vor allem der richtige Umgang mit dem Gesetz, besser: mit dem puren Normtext. Ich werde regelmäßig temperamentvoll, wenn ich an dieses Thema stoße, es ist mir wirklich wichtig. Denn wie (fast) alle anderen, habe ich im Studium eine Kardinalsünde begangen. Ich habe mehr „über“ Gesetzestexte gelesen – sie mir also von Kommentaren und Lehrbüchern erklären lassen -, statt sie immer zuerst selbst zu lesen und mir nach Kräften selbst zu erschließen: Um was für einen Normtyp (Anspruchsnorm, Ermächtigung/Befugnis, Definitionsnorm, ergänzende Norm usw.) handelt es sich? In welchem systematischen Zusammenhang steht die Norm? Welche zentralen Begriffe kommen darin vor? Sind die Begriffe anderweitig definiert odermüssen sie definiert werden? Kann man dabei auf andere Gesetze zurückgreifen, in denen sie verwendet werden? Was ist der Zweck der Norm? Das ist wahrhaft anstrengend und zeitraubend. Deshalb verlassen sich die meisten von uns auf Dritte und lassen sich über eine Norm belehren, statt Normen selbst zu analysieren. Dagegen ist – sozusagen als Zwischenschritt – nichts zu sagen; es entspricht im Gegenteil guter Wissenschaft, sich mit den Ansichten anderer auseinanderzusetzen. Aber der entscheidende Punkt ist, dass die Norm, und sonst nichts, der Ausgangs- und Endpunkt aller Überlegungen sein muss. Für Richter ist das explizit in Art.97 GG gesagt: Richter sind „nur dem Gesetze unterworfen“. Ihre Unabhängigkeit, die in dieser Norm sogar vorangestellt ist, ist kein Privileg und verfassungsrechtlich nur akzeptabel, weil nur unabhängige Richter die unbeeinflusste, strikte Bindung von Entscheidungen an die entscheidungserheblichen Rechtsnormen garantieren können. Letztlich gilt das aber ebenso schon für das Studium; auch Studierende müssen sich unabhängig machen, um sich nur dem Gesetz verpflichten zu können. Ihre Ausbildung zielt ja schließlich auf die Befähigung zum Richteramt (§5 DRiG). Warum also sich von fremden Rechtsansichten abhängig machen, statt die Fähigkeit zur eigenen Meinungsbildung unmittelbar am Normtext zu trainieren? Aber diese Sache hat nicht nur eine dogmatische Seite, sondern auch eine strategische. In Klausuren und auch im Mündlichen steht einfach nichts anderes zur Verfügung als das nackte Gesetz. Es kann doch nicht sein, dass man fast jeden Kandidaten durchfallen lassen kann, wenn man ihm nur einen einfachen Gesetzestext vorlegtund dazu Fragen stellt.1 Das im Studium unablässig und konsequent eingeübte Lernen direkt am Text ist in gewisser Weise sogar ein Erfolgsgarant fürs Examen. Wer ausgehend vom Gesetzestext lernt, bindet sein Wissen an ihre Wortlaute und ihre Struktur. Ihm wird alles einfallen, was er dazu gelernt hat, wenn er im Examen auf den Text stößt und sogar, wenn er einen anderen, unbekannten Textvorgesetzt bekommt. Normen sind gar nicht so heterogen aufgebaut, wie es manchem scheint; der Gesetzgeber verfolgt bei ihrem Aufbau klare Vorgaben, diees leicht machen, sich mit unbekannten Gesetzen oder Vorschriften anzufreunden.2 Ich kann es nicht genug betonen: Jeder Jurist sollte Gesetzestextelesen, so viel wie eben möglich. Das nicht getan zu haben, habe ich später in unbekannten Rechtsgebieten ohne hilfreiche Kommentare und Lehrbücher oder aufschlussreiche Gerichtsentscheidungen sehr bereut. Mein Erfolgsrezept für ein anständiges Examensergebnis lautet also: Freude am Stoff, Ausbau der juristischen Fähigkeit am Gesetzestext und „harte“ Arbeit, besser: systematische, konsequente und fortlaufende Arbeit. Dazu gehört Disziplin: geordnetes Denken, methodisches Vorgehen und systematisches Herangehen. Damit will ich den Wert von Kreativität und Chaos für die juristische Falllösung nicht mindern. Richter, Anwälte, Professoren und Studierende sind 1 Ich habe das in einer Schwerpunktprüfung einmal mit § 81 VwGO gemacht, den ich in der Vorlesung besprochen hatte. Das Ergebnis war ernüchternd. Dabei bieten die zentralen Begriffe (Klage, schriftlich, Gericht) bieten ein weites Feld, den Prüfer zu beeindrucken; und wirklich schwer sind sie auch nicht. Aber sogar die Frage nach dem Unterschied in der Wortwahl „Gericht“ (Abs.1 S.1) und „Verwaltungsgericht“ (Abs.1 S.2) führte nur zu zaghaften, fragenden Antworten.2 Wer das nicht glauben mag, vergewissere sich im Handbuch der Rechtsförmigkeit der BMJV (herunterladbar von http://www.bmjv.de). keine Subsumtionsautomaten, wie das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten (1794) noch glaubte. Die großen Werke, Sinfonien wie juristische Bücher und wegweisende Entscheidungen, sind nicht nach Kochbuch und Rezepten entstanden, sondern durch letztlich ungreifbare und chaotische Einfälle großartig geworden. Aber bei den meisten ist es doch so, dass sie auf das „Dach“ dieses Hochhauses durch ein Treppenhaus, also eine vorgeordnete Struktur gelangen müssen, um sich von dort in die luftigen Höhen kreativen Schaffens erheben zu können. Das Chaos der Ideen muss gebändigt werden durch Regeln der Methodikund Argumentationskunst. Sonst entsteht aus Kreativität Willkür. Bei uns Juristen kommt hinzu, das wir andere von unseren Ideen überzeugen müssen. Das gelingtnur, wenn sie unsere Gedankengänge nachvollziehen können und sie zwingend finden. Die besten Lösungen entspringen zwar unserer juristischen Kreativität, aber sie müssen in Bahnen gebracht werden und sich letztlich auch dadurch rechtfertigen, dass andere ihnen zustimmen. Darin liegt für mich der Wert der juristischen Methoden, dass sie unsere chaotische Kreativität in nachvollziehbare Bahnen bringt. Methodenlehre gehört deshalb lebenslang zu den fundamentalen Werkzeugen. Ich schließe mit einem alten Satz: Ohne Fleiß kein Preis. Das gilt bisins tiefste Berufsleben hinein. Ich würde ihn aber abwandeln und sagen: Kein Preis ohne den „richtigen“ Fleiß, der sich nicht in atemlosem Anhäufen von Lehrsätzen verschleißt, sich Pausen und schöne Stunden gönnt und sich immer an das wunderbare Ziel der Mühen erinnert: ein Berufsleben, in dem man als Jurist „etwas zu sagen“ hat.

Kommentar verfassen