Hass im Netz ist zum Problem und zur allgegenwärtigen Dauerphrase
im politischen Zeitgeist geworden. Zwei Jahre nach der Einführung
des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes will der Gesetzgeber nun
nachjustieren. Doch auch wenn der sachliche Wirkbereich präzisiert
werden würde, das Grunddilemma zwischen Opferschutz und
informationeller Selbstbestimmung bleibt ungelöst.
Die in Artikel 5 Abs. I GG geschützte Meinungsfreiheit ist eines der höchsten
Güter einer liberalen Demokratie und stellt den Gesetzgeber gleichzeitig vor
ein steiles Problem. Die Welt hat sich in den letzten 20 Jahren auch aus
kommunikativer Sicht weiter gedreht. Wenn wir damals über
Informationsverbreitung gesprochen haben, dachten wir an Literatur,
Tageszeitungen, Rundfunk, oder eine saftige Stammtischpöbelei. Heute ist
Kommunikation ein Massenphänomen, an dem jede Person jederzeit
teilnehmen kann. Jeder von uns kann so seinen Gemütszustand unter dem
jeweiligen Hashtag der gesamten Weltöffentlichkeit ungefragt kundtun und die
anderen können das kommentieren.
Aber vielleicht gefällt es dem Kollegen, der gerade mit seinem Smartphone das
WC besetzt nicht, dass du dich unter einem Focus-Online Artikel für einen
harten Lockdown aussprichst. In Verbindung mit der Anonymität sorgt das in
der Konsequenz für eine geringe Hemmschwelle, seine Meinung auch mal mit
einer schönen Umschreibung deines Äußeren oder dem Vergleich mit dir und
einem Nutztier zu garnieren – man spricht von Hass im Netz.
Aber Moment, das ist doch nichts Neues oder? Facebook gibt es schon seit über
10 Jahren und auch vorher konnten wir mit einem Bollerwagen und AOL-CD ins
Computerzimmer pilgern und auch irgendwas mit Internet machen. Ja, das ist
richtig, nur haben sich sowohl die Infrastruktur, als auch die
zwischenmenschlichen Strukturen massiv potenziert. Zudem erleben wir seit
etwa 2014, mit Aufkommen der Flüchtlingsdebatte, einen gesellschaftlichen
Kulturwandel, der unter anderem bedingt, dass der Ton rauer, die Debatten
aufgeladener und unversöhnlicher werden. Auch nutzen bestimmte Gruppen
den Shitstorm gezielt als Werkzeug, um den politischen Gegner
einzuschüchtern oder die eigene Agenda relevant zu machen. So, und all das
hat nun dazu geführt, dass das Verlangen nach Regulierung und Eindämmung
dieser Auswüchse lauter wurde. Und nun stehen wir hier.
NetzDG und der Status Quo
Das sich unsere Regierung im #Neuland nur schwer zurechtfindet, zeigt sich an
verschiedenen Stellen recht gut. Zum einen ist Deutschland mittlerweile ein
digitales Entwicklungsland, was den europäischen Staaten weit
hinterherpaddelt. Anders gesagt, versucht mal zwischen zwei Bahnhöfen im
Zug zu telefonieren. Zum anderen herrscht bei vielen Verantwortlichen ein
Gesellschaftbild, in dem Technologie eher als Feind wie in einer Episode „Black
Mirror“ gesehen wird, anstatt als Werkzeug für eine stabile Zukunft.
Problem dabei, diese Unbedarftheit bekommen wir nicht nur bei der fehlenden
digitalen Infrastruktur zu spüren, sondern auch, wenn die Regierung mal wieder
irgendein Gesetz auf den Weg bringen will.
Als das NetzDG im Januar 2018 nach der Übergangsfrist umgesetzt werden musste, kam es instant zum gefürchteten Overblocking in den sozialen
Netzwerken, denn nicht jeder Satirebeitrag wurde als solcher erkannt, und so
mussten einige Twitter User in die Zwangspause. Viele wussten gar nicht mehr
was sie nun mit dem Tag anfangen sollen. Das juristische Problem dahinter:
Nutzer sind per Meldefunktion die Ankläger, Anbieter wie Twitter oder Facebook
die Richter und Henker und müssen die entsprechenden Posts oder
Kommentare löschen um nicht selbst in die Haftung genommen zu werden.
Doch hier fehlt es nicht nur am Richtervorbehalt, sondern auch an der
juristischen Expertise der Löschteams, denn § 3 Abs. II Satz 2 NetzDG sagt, es
muss gelöscht werden was „offensichtlich rechtswidrig“ ist. Phillip Amthor
würde sagen „Ja lol ey“, wie soll das denn ein Laie entscheiden? Nichtmal der
damalige Justizminister Heiko Maas kannte darauf eine Antwort.
Der Witz daran, selbst mit Richtervorbehalt wäre keinem geholfen, sieht man
wie überlastet die Justiz ist. Wir alle kennen den Richter aus Erfurt, der sich
seinen Schreibtisch, auf dem sich die Akten stapeln, selbst höher basteln
musste. Eine fehlerhafte Sperrung eines Nutzers ist heute, wo die Exekutive
zum Großteil auf Social Media kommuniziert, auch im Hinblick auf Art. 20 GG
problematisch.
Die Novelle und die offenkundige Verfassungswidrigkeit
Doch der Ritt auf dem Holzweg wurde unbekümmert fortgesetzt. Was Kritiker
schon beim NetzDG geahnt haben, liegt nun deutlich auf der Hand – die
fehlende Verfassungskonformität des Gesetzesvorhabens. Nachdem die
Bundesregierung 2020 ein Gesetz gegen Rechtsextremismus und
Hasskriminalität, wovon ein Teilbereich auch das NetzDG novellieren
beziehungsweise verschärfen sollte, aufgelegt hat, gab es im September direkt
die Klatsche. Weder der wissenschaftliche Dienst des Bundestags, noch
Bundespräsident Steinmeier wollten grünes Licht geben. Direkt im Dezember
hat man es dann mit einem Reparaturgesetz versucht, das im Februar diesen
Jahres erneut vom Bundesrat eine dicke Schelle kassierte und derzeit in der
Kühlbox liegt. Peinlich.
Doch warum ist das Vorhaben so rabiat abgeschmettert wurden?
Problem ist die beabsichtigte Bestandsdatennutzung, also Informationen zu
Nutzernamen, Anschriften, Bankdaten und IP-Adressen.
Diese Daten müssen Plattformbetrieiber samt der strafbaren Inhalte der
jeweiligen Person an das BKA weiterleiten. Und zwar dann, wenn Gewalt- und
Morddrohungen, die Billigung von Straftaten oder Volksverhetzungen im Raum
stehen. Im Zuge der Übersendung dieser Daten hätten die
Ermittlungsbehörden beziehungsweise das BKA weitreichende Möglichkeiten
(durch die Verwendung der Passwörter), ihre Social Media Konten
umzukrempeln – ohne dass ein Richter darüber geschaut hat. Ein nicht
unerheblicher Eingriff in die Privatsphäre.
Kritik kam unter anderem aus Leipzig. Der Medienrechtler Marc Liesching von
der HTWK wies auf die Verfassungsmängel, insbesondere die Verletzung des
informationellen Selbstbestimmungsrechts, sowie auf einen Verstoß gegen die
europäische Datenschutzgrundverordnung und E-Commerce-Richtlinie hin.
Weiterhin sei unklar, inwieweit man mit den Behörden der Plattformen in den
USA zusammenarbeiten wolle. Denn bisher setzen die einschlägigen
Plattformen aus dem Silicon Valley das NetzDG nur auf freiwilliger Basis um.
Auch der deutsche Richterbund äußerte Bedenken, da es „mehr
Digitalkompetenz“ bräuchte, um mit den kommenden Verfahren umgehen zu können. Ebenso bräuchte es eine personelle Verstärkung der Strafjustiz.
Der Kampf um die Deutungshoheit im Netz
Doch mal Hand aufs Herz, brauchen wir noch mehr Gesetze und Regeln und
viel wichtiger, müssen wir gesellschaftliche Fehlentwicklungen wieder
oberflächlich mit dem Strafrechtsschwert lösen?
Die Leipziger Professorin für ausländisches Strafrecht, Strafprozessrecht,
Wirtschafts- und Medienstrafrecht Elisa Hoven, hat sich in ihrem dreijährigen
Forschungsprojekt „Der strafrechtliche Umgang mit Hate Speech im Internet“
beschäftigt.
Dafür wurden 1000 Internetuser zu ihrer Wahrnehmung bezüglich Hass im Netz
gefragt. 79% der Befragten gaben dabei an, dass in ihrer Wahrnehmung
Hasskommentare die letzten fünf Jahre deutlich zugenommen haben,
beziehungsweise die Aggressivität zugenommen hat. Beachtlich ist aber eine
andere Zahl – 68% der Befragten, die schonmal mit Hasskommentaren in
Berührung gekommen sind, haben derweil schon einmal darauf verzichtet,
einen Beitrag zu posten.
Heißt, die Konfrontation mit digitalem Hass sorgt in der Konsequenz für eine Art
Selbstzensur? Die eigene Meinung und der eigene Debattenbeitrag werden
zurückgehalten, aus Angst vor Stress. Klar, wenn jeder im Pöbelexzess die
Tastatur zerschreddert, kommt auch kein guter Diskurs mehr zustande und
man kann sich als Teil derjenigen, die noch an einer sachlichen Debatte
interessiert sind, den eigenen Beitrag auch klemmen.
Aber das stetige Gefühl, in einem digitalen Panoptikum zu leben, ist weder
sonderlich beruhigend, noch auf Dauer einer Demokratie zuträglich, die sich
die Meinungsfreiheit groß auf die Fahne schreibt.
Doch schlussendlich wären das aus Sicht der Politik nur Kollateralschäden.
Denn eigentlich geht es um etwas anderes – sich die Deutungshoheit und die
verloren geglaubte Rechtshoheit im Netz zurückzuholen. Wir alle kennen doch
das Narrativ der rechtsfreien (Netz)Räume. Bundesjustizministerin Lambrecht
brachte die Gesetzesinitiative kurz nach dem Mord am hessischen CDU-Politiker
Walter Lübcke ins Rennen, der zuvor einer massiven Hetzkampagne im Netz
ausgesetzt war.
Es scheint eine willkommene Angelegenheit, die Freiheiten der Bürger unter
einem vermeintlich guten Vorwand weiter einzuengen. Wie sagte die CSU-
Politikerin Dorothee Bär in einer Bundestagswutrede so plakativ: „Die AfD hat
mitgeschossen“. Gemeint ist da die Beteiligung an der Stimmungsmache im
Netz gegen Lübcke. Das muss doch reichen, die Freiheit im Netz weiter
einzuschränken, oder etwa nicht?
Aber auch die Tatsache, dass man immer noch irgendwo im #Neuland auf
einem Modem sitzt und den rasanten Entwicklungen im Netz aus der Ferne
hinterherschauen kann, ist zum Ärgernis geworden. Die Politik sieht sich
gegenüber der Macht aus dem Silikon Valley in der Defensive und will nun
endlich die Tech-Konzerne stärker an die Leine nehmen. Man verweise auf die
Tatsache, dass Twitter im Januar ruckzuck den mächtigsten Mann der Welt
stummschalten konnte. Bei dem Bewusstsein darüber bekommen einige
Politiker durchaus Bauchschmerzen. Nicht zu Unrecht übrigens.
Aber sind das denn nicht gute Gründe, hier mehr Regeln im Netz aufzustellen
und die Störenfriede härter zu sanktionieren? Oder willst du es hinnehmen, dass Menschen im Netz im großen Stile bedroht werden. Nein – weder noch. Ein
Gesellschaftsmittel Strafrecht ist genauso wenig erstrebenswert wie
Uploadfilter oder andere Flaschenhälse, die geeignet sind, die freie
Meinungsäußerung zu beurlauben. Härtere Gesetze taugen übrigens genauso
wenig zum Korrektiv für gesellschaftliche Fehlentwicklungen, insbesondere
wenn diese auch rechtschaffene Bürger abschrecken, ihre Meinungen zu
kommunizieren. Im Zweifel verschleiert man seine IP-Adresse und nutzt
verschiedene Accounts. Und, wir haben schon Gesetze – das Netz ist kein
rechtsfreier Raum, in dem zum Beispiel § 185 StGB suspendiert wird. Und für
den Fall, dass wir doch härtere Gesetze brauchen sollten, dann so, dass die
Exekutive ermittelt und die Judikative bewertet, und nicht irgendwelche
juristische Laien in Unternehmen. Eben so, dass es einem Rechtsstaat
angemessen ist.
Dennis Hänel
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