NachanhaltendenLockdowns und immer größer werdender Impfbereitschaft tobt in Deutschland die Debatte, ob Geimpften Sonderrechte eingeräumt werden sollen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn plädiert gegen Privilegien für Geimpfte, Bundesinnenminister Horst Seehofer spricht sogar davon,eine Unterscheidung zwischen Geimpften und Nichtgeimpften komme einer Impfpflichtgleich. Eine Frage von Moral und Recht, die möglicherweise die Exit-Strategie für endlosscheinendeLockdowns sein könnte: Muss im Umgang mit Corona-Beschränkungen eine Differenzierung nach Impfstatusgemacht werden und wie gefährlich wäre eine Lockerung auf Kosten der gesellschaftlichen Solidarität inder Pandemiebekämpfung?
Juristisch ist die Antwort annäherndklar. Die rechtlichen Grundlagen zu Schutzmaßnahmen finden sich im Infektionsschutzgesetz (IfSG). Es definiert meldepflichtige Krankheiten, Regelungenzur Verhütung übertragbarer Krankheiten und enthält rechtliche Ermächtigungsgrundlagen zur Anordnung behördlicher Maßnahmen. Während der Corona-Krise wurde das IfSG geändert und ergänzt, zuletzt durch das am 23.04.2021 in Kraft getretene „Vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“, welches bundesweit einheitliche Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit vorsieht(„Bundes-Notbremse“).Schutzmaßnahmen sind damit nur so langegesetzlich und verfassungsrechtlich legitimiert, soweit sie notwendig sind, um das Infektionsgeschehen einzudämmen. Sobald dazu keine Notwendigkeit mehr besteht, sind auch Schutzmaßnahmen, wie zum Beispiel eine Ausgangssperre,nicht mehr zulässig. Steht zuverlässig fest, dass Geimpfte nicht mehr ansteckend sind, ist ein Eingriff in Grundrechte staatlicherseits nicht mehr gerechtfertigt. Begrifflich handelt es sichsomitweniger um Sonderrechte für Geimpfte, vielmehr um Rückgewähr von Freiheitsrechtenund die Rückkehr zum Normalfall. Es werden keine neuen Rechtsansprüche geschaffen, vielmehr bestehende Grundfreiheiten zurückerlangt.Seitdem eine Studie der israelischen Regierung ergab, dass der Impfstoff BioNTech/Pfizer die Infektiosität senkt, wodurch Virusübertragungen unterbunden und Infektionsketten zuverlässig unterbrochen werden können, ist die rechtliche Antwort auf die Frage nach der Außerkraftsetzung von Grundrechtsbeschränkungen für Geimpfte umso wichtiger. Allerdings ergeben sich erhebliche Probleme in der praktischen Umsetzung von „Sonderrechten“ für Geimpfte. EineKontrolle der Einhaltung der Maskenpflicht im öffentlichen Bereich stellt staatliche Organevor beachtlicheVollzugsprobleme. Es müsste im öffentlichen Raum in bisher unbekanntemMaße ständig die Impfbescheinigung der Maskenlosen kontrolliert werden. Auch von politischer Seite wird sich bishergegen eine Differenzierung nach Impfstatus ausgesprochen. Das Fortbestehen der geltenden Maßnahmen sei zum weiteren Schutz vor Ansteckung und zur Wahrung des gesellschaftlichen Friedens, insbesondere zur Verhinderung einer Zweiklassengesellschaft, maßgeblich. Die Bereitschaft von Nichtgeimpften zur Befolgung der geltenden Normen würde deutlich abnehmen, sollte es eine „Privilegierung“ für Geimpfte geben. Auch der Deutsche Ethikrat steht einer Befreiung Geimpfter von bisherigen Beschränkungen kritisch gegenüber. Dieser beruft sich auf das Regelbefolgungsargument, wonach Immune nicht von minimalinvasiven Maßnahmen ausgenommen werden sollen. Eine Differenzierung in Geimpfte und Nicht-Geimpfte könne Missstimmung und Misstrauen erzeugen und schließlich dazu führen, dass auch Nicht-Immune sich nicht mehr an geltende Regelungenhalten, was abermalsdem Kampf gegen Corona schade. Ob die einheitliche Behandlung von Geimpften und Ungeimpften zu Wahrung des gesellschaftlichen Friedens verfassungsrechtlich tragfähig ist, erscheint fraglich. Wenn bestimmte Beschränkungsmaßnahmen für bestimmte Personengruppen nicht mehr rechtens sind, müssen diese -auch gerichtlich -aufgehoben werden.
Ebenso bedeutsam,aber kompliziertist die Konstellation, ob private Unternehmen eine Differenzierung nach Impfstatus vornehmen dürfen. DerGrundsatz der Vertragsfreiheit als Ausprägung der -auch verfassungsrechtlich garantierten -Privatautonomie gewährleistet Bürgerndie Freiheit, eigene privatrechtliche Angelegenheiten nach eigenemWillen selbst zu regeln. Ein privates Unternehmen kann sich demnach aussuchen, mit wem es Verträge abschließt. Es erscheint dementsprechend nicht abwegig, dass zukünftig Konzertveranstalter (im rechtlichen Rahmen) Verträge nur noch mit geimpften Personen schließen wollen. Grenzen erfährt die verbürgte Vertragsfreiheit lediglich durch mittelbar wirkende Vorgaben des Verfassungsrechtsund insbesondere durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Danach sind Diskriminierungen zum Beispiel wegen der ethnischen Herkunft oder des Geschlechts unzulässig. Bisher ist der Impfstatus jedochnicht ausdrücklich im AGG genannt, zudem existiert im AGG eine Rechtfertigungsmöglichkeit. Eine Impfung erscheint im Rahmen dessen nicht als unzulässiges Kriterium, sondern als nachvollziehbarer sachlicher Grund. Insbesondere für die Touristik-und die Gastronomiebranche, die von den Beschränkungenbesonders betroffen sind,können sich signifikante Vorteile ergeben.
Problematischer hingegen erscheint die Kontrolle des Impfstatusselbst: Neben dem erheblichen Aufwand durch die Kontrolle, gibt es derzeit (noch) keine fälschungssicheren Impfausweise. Auch der digitale Impfpass, in dem festgehalten werden soll, wenn EU-Bürger bereits geimpft wurden, nach einer Corona-Infektion immun sind oder einen negativen PCR-Test vorweisen können, stößt auf Kritik. Datenschutzrechtlich ist noch nicht klar, wie eine Nutzung persönlicher Gesundheitsdaten von EU-Bürgern durch außereuropäische Staaten verhindert werden kann.Auch je mehr PrivatunternehmerDaseinsvorsorge betreiben, desto eher besteht ein staatlicher Auftrag einzuschreiten und eine „Privilegierung“ für Geimpftezuunterbinden.Der Staat ist Gleichheitsaspekten stärker verpflichtet als Private.
Zum Beispiel ist die Abhängigkeit eines Terminsim Rathaus vom Impfstatus kaum vorstellbar.Bei der Frage nach „Privilegien“für Geimpfte geht es um verschiedeneKonstellationen, die derzeit noch unterschiedlich rechtlich und politisch relevant sind. Solange jedoch die Gruppe von Nicht-Geimpften mangels Impfangebot noch weitestgehend homogen und entsprechend fremdbestimmt nicht-geimpft ist, werden sich diese Personen doppelt benachteiligt fühlen: Einerseits fehlt ihnen der Schutz vor COVID-19, andererseits sind sie von Lockerungen ausgeschlossen.
Letztendlich gilt, dass infektionsschutzbedingte Beschränkungen nicht diejenigen erfassen dürfen, die weder sich noch andere gefährden. Folglich dürfte der Staat ihnen die Rückgewähr von Grundrechten nicht verwehren. Eine Ungleichbehandlung könnteaber die allgemeine Regelbefolgung beeinflussen undzur Spaltung der Gesellschaft führen.Die Differenzierung nach Impfstatus ist nicht nur ein Kontroll-, sondern ein Abwägungsproblem. Das Interesse an einer gemeinsamen Partynacht ist ins Verhältnis zu setzen mit den möglichen Auswirkungen auf das Infektionsgeschehen.
Natalie Taubert
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