Natur GmbH & Co. KG

Der Natur müssen eigene Rechte eingeräumt werden, um gerichtlichen Umweltschutz effektiver zu gestalten: Diese jahrzehntealte Forderung erfährt im Kontext sich verschärfender Umweltprobleme ihre Renaissance. Doch handelt es sich hierbei um ein sinnvolles Konzept? Ein Überblick über die Hintergründe der Idee.

Durch die fortschreitende Zerstörung der Natur haben wir uns selbst eine der größten Herausforderungen unserer Zeit geschaffen: Die Klimakrise. In existenzbedrohender Weise zeigt sie auf, dass der Mensch die Natur nicht weiter nur als Anhäufung von verbrennbaren Ressourcen behandeln kann. Immer lauter werden deshalb die Rufe nach einem gesellschaftlichen Umdenken: Um die Natur zuverlässig schützen zu können, dürfe sie nicht mehr als Objekt, sondern sie müsse als Subjekt begriffen werden. Im Hinblick auf unsere Rechtsordnung hieße das: Die Natur wäre Rechtsträgerin; das Überlebensinteresse ganzer Ökosysteme könnte vor Gericht geltend gemacht werden. Doch brächten Eigenrechte der Natur wirklich die juristische Lösung der Klimakrise mit sich? Oder handelt es sich lediglich um kodifizierte Symbolpolitik? „Welchen Beitrag leistet das Grundgesetz zum Umweltschutz? Nüchtern ist festzuhalten: Der Befund ist eher mager!“, so Andreas Voßkuhle, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Jula Zenetti, Umweltrechtlerin am Leipziger Helmholtz-Institut für Umweltforschung (UFZ), ist der Meinung: Mit der Anerkennung von Eigenrechten der Natur würde sich dies ändern (Interview S.4). Doch woher kommt eigentlich die Überlegung, der Natur Rechtssubjektivität einzuräumen? Und was für Wege sind bei einer Anerkennung von Umweltrechten denkbar? Die wichtigsten Hintergründe zur Eigenrechtsdebatte im Überblick:

Entstehungsgeschichte

Die Idee der Eigenrechte stammt bereits aus den 1970er Jahren. Der amerikanische Umweltrechtsprofessor Christopher D. Stone warf die Frage auf, wieso eigentlich abstrakte Gebilde wie Kapitalgesellschaften Rechtssubjekte darstellen und damit Träger von Rechten und Pflichten sind, Bäume, Flüsse oder Ökosysteme jedoch nicht. Stone forderte, dass die Natur die Möglichkeit bekommen sollte, in eigenem Namen vor Gericht zu ziehen, um die Verletzung eigener Rechte geltend machen zu können.

Diese Ideen fanden Anfang der 80er Jahre auch in Deutschland Anklang. Bei der sogenannten „Robbenklage“ vor dem Verwaltungsgericht Hamburg versuchten Kläger*innen, gegen Umweltrechtsverletzungen in der Nordsee im Namen der betroffenen Seehunde vorzugehen. Letztere waren zu diesem Zeitpunkt von einem Massensterben betroffen, das nachweislich mit vermehrter Dünnsäureverklappung und Müllverbrennung auf hoher See zusammenhing. Das war damals zwar grundsätzlich verboten, konnte aber durch eine Ausnahmegenehmigung in Einzelfällen durchgeführt werden. Die entscheidungsberechtigte Behörde sollte dafür beurteilen, ob durch das Einbringen der Stoffe die Lebewesen der Nordsee geschädigt würden, welches sie im vorliegenden Fall jedoch verneint hatte. Normalerweise sind solche Ermessensentscheidungen der Verwaltungsbehörden gerichtlich überprüfbar und können mit einer Klageerhebung des geschützten Personenkreises angefochten werden. Geschützt im Sinne der allgemein anerkannten Schutznormtheorie waren hier als Lebewesen der Nordsee allerdings nur die Robben. Somit hatte sich das Verwaltungsgericht Hamburg mit der Frage zu befassen, ob den Seehunden der Nordsee Rechtssubjektivität zukommen könnte – und entschied sich dagegen. Die Klage wurde daraufhin als unzulässig abgewiesen.

Anthropozentrische Rechtsordnung

Hier offenbarte sich eines der grundlegendsten Probleme des deutschen Umweltschutzes: Von der Rechtsordnung geschützt werden soll die Natur, vor Gericht klagen kann jedoch nur der Mensch. Diese Differenzierung zwischen dem menschlichen Wesen einerseits und den nichtmenschlichen Lebewesen andererseits fußt auf einem anthropozentrischen Denken unserer Gesellschaft: Hier der Mensch, dort die Natur. Dieses dualistische Weltbild – der Mensch als von der Natur losgelöstes Wesen – brachte die Legitimationsgrundlage zur Ausbeutung der Natur mit sich; die Natur konnte als Ressource begriffen werden. Das förderte über lange Zeit zwar den wissenschaftlichen und ökonomischen Fortschritt, auf dem unser heutiger Lebensstandard fußt. Allerdings bescherte es uns auch die riesigen Probleme, vor denen wir heute stehen: Artensterben, Verwüstung, Naturkatastrophen. Der Klimawandel zeigt uns, dass wir nicht unabhängig von der Natur sind, sondern dass das Überleben der Natur Voraussetzung für unser eigenes Überleben ist.

Im Zuge des Erkennens dieser faktischen Abhängigkeit des Menschen von der Natur kristallisierte sich ein verändertes anthropozentrisches Naturverständnis heraus, dass als heutige Grundlage des hiesigen Verhältnisses zur Umwelt gilt. An die Stelle der reinen Ausbeutungsbeziehung zur Natur ist ein Kommunikations- und Dialogverhältnis getreten. Der Mensch begreift sich zwar immer noch durch sein Denken als von der Natur abgrenzbares Wesen, akzeptiert aber, dass er als körperliches Wesen nicht komplett unabhängig von seiner Umwelt ist. Aus diesem Kompromiss folgt, dass der Mensch eine gewisse Verantwortung gegenüber der Natur hat. Ob diese Verantwortung in der realen Welt tatsächlich wahrgenommen wird, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. Anhand der in den letzten Jahrzehnten eingeführten höheren Umweltschutzstandards und der erweiterten Klagebefugnisse von Umweltverbänden sind in rechtlicher Hinsicht die Tendenzen einer geläuterten Anthropozentrik allerdings erkennbar.

Unterschiedliche Wege

Dass der Anthropozentrismus jedoch nicht das einzig mögliche Verständnis der Mensch-Natur-Beziehung darstellt, lässt sich in vielen Staaten außerhalb des europäischen Raumes beobachten. Besonders in Ländern mit indigenem Bevölkerungsanteil, die historisch eine ganz andere Beziehung zur Natur aufgebaut haben, finden sich Rechtsordnungen mit physiozentrischen Einflüssen. Mensch und Natur werden dabei als harmonisches Eins begriffen und sind sich damit ebenbürtig. Der Natur kommt dabei ein Selbstwert zu, durch den ihr auf Augenhöhe begegnet wird. Folgerichtig wird ihr im Sinne der Physiozentrik auch Rechtssubjektivität eingeräumt. Bekanntes Beispiel für eine physiozentrische Rechtsordnung ist Ecuador. Im Jahr 2008 hat das Land zusammen mit einer neuen Verfassung auch Eigenrechte der Natur eingeführt: Die Natur wird ausdrücklich als Rechtssubjekt anerkannt (Art. 10 Abs. 2 CRE) und der Schutz von Ökosystemen als Verfassungsrechtsgut immer wieder betont (Art. 14 Abs. 2 CRE). Die Rechte der Natur sind dabei aber keineswegs unabdingbar, sondern müssen mit anderen Rechtsgütern der Verfassung – also menschlichen Belangen – in einen Ausgleich gebracht werden. In diesem System, das von dem Umweltethiker Dr. Stefan Knauss als „pluralistischer Holismus“ bezeichnet wird, bleibt die klassische Grundrechtsabwägung erhalten. Hinzu kommt lediglich, dass auch die Natur Teil dieser Abwägung ist – was auch in Deutschland wohl kein verfassungswidriges Konzept wäre.

In anderen Ländern wurden Eigenrechte stattdessen durch die Auslegung der Gerichte anerkannt. So wurden in Kolumbien der Natur im Rahmen einer Gesamtschau der Verfassung eigene Rechte zugestanden. In Deutschland könnte dies durch eine verfassungsgerichtliche Auslegung von Art. 20a GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG geschehen, wie es beispielsweise der Rechtswissenschaftler Andreas Fischer-Lescano vorschlägt: Die verfassungsrechtlich anerkannten natürlichen Lebensgrundlagen und Tiere könnten sich wie juristische Personen auf diejenigen Grundrechte berufen, die wesensgemäß auf sie anwendbar sind.

Denkbar wäre aber auch der in Neuseeland beschrittene Weg, Eigenrechte partiell auf einfachgesetzlicher Ebene anzuerkennen. So wird der Whanganui River in § 14 Abs. 1 WA ausdrücklich als juristische Person bezeichnet, wodurch ihm alle „[…] rights, powers, duties, and liabilities of a legal person“ zukommen. Durch solche Konzepte können der Natur auch zivilrechtliche Rechte zugeordnet werden, wodurch ihr rechtliche Handlungen, wie beispielsweise der Eigentumserwerb, ermöglicht würden.

Mehrwert von Eigenrechten?

Es zeigt sich: Die Möglichkeiten der Anerkennung von Eigenrechten der Natur sind vielfältig, das deutsche Rechtssystem stünde einer solchen Veränderung grundsätzlich offen gegenüber.  Doch ist die Anerkennung von Eigenrechten heute noch notwendig? Was für einen über eine reine Symbolwirkung hinausgehenden Mehrwert hat die Anerkennung der Rechtssubjektivität der Natur gegenüber einer einfachen Anhebung des Umweltschutzniveaus? Und hilft eine Veränderung unseres Rechtssystems im Kampf gegen den Klimawandel überhaupt? Diese Fragen beantwortete Jula Zenetti vom Leipziger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in einem Interview mit der kleinen Advokatin auf Seite 4.

Ben Grünewald

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