Herausforderungen für Pflegeeltern und Pflegekinder
Die Vollzeitpflege eines ,,fremden“ Kindes ist immer auch mit der Öffnung des privaten Bereichs in Bezug auf Institutionen der Jugendhilfe und der Herkunftsfamilien verbunden. Bei Konflikten kann es schnell dazu kommen, dass das Kind zum Spielball von Erwachsenen wird. Das geltende Recht bietet Pflegefamilien dabei oftmals keinen ausreichenden Schutz.
Die Beitragsreihe soll einen Überblick über die bestehenden rechtlichen Missstände in der Vollzeitpflege geben. Hierbei werden die rechtlichen Herausforderungen für die Pflegefamilie, bestehend aus Pflegeeltern und Pflegekind in den Vordergrund gerückt. Nachdem im ersten Teil die Rückführung des Kindes in seine Herkunftsfamilie behandelt wurde, schließt der zweite Teil mit den Problemen der Amtsvormundschaft an. Ob diese Probleme durch die neue Vormundschaftsrechtsreform gemildert werden, wird im Anschluss im dritten Teil der Beitragsreihe besprochen.
III. Der Amtsvormund zwischen Jugendamt und Pflegekind
1. Begriffsklärung: Vormundschaft
Kinder sind bis zu ihrem 18. Lebensjahr nicht voll geschäftsfähig. Solange das Kind minderjährig ist, ist es daher der elterlichen Sorge nach § 1626 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) anvertraut. Die elterliche Sorge beinhaltet die Personen- und die Vermögenssorge sowie die gesetzliche Vertretung des Kindes (vgl. 1629 BGB). Das Sorgerecht der Eltern umfasst dabei alle körperlichen, geistig-seelischen, sozialen und wirtschaftlichen Interessen des Kindes. Können oder wollen die Eltern ihre elterliche Sorge für das Kind nicht ausüben, muss der Staat eingreifen und einen Vormund bestimmen. Anstelle der Eltern ist dann der Vormund Inhaber des Sorgerechts und der gesetzliche Vertreter des Kindes. Das Kind ist nun sein Mündel. Die Vormundschaft ist in den §§ 1773 ff. BGB geregelt.
2. Arten der Vormundschaft
Bei der Geburt des (Pflege-)Kindes liegt das Sorgerecht in den meisten Fällen bei den leiblichen Eltern oder zumindest bei der leiblichen Mutter. Eine Ausnahme ist in § 1773 Abs. 2 BGB geregelt. Danach ist schon vor der Geburt ein Vormund zu bestimmen, wenn bereits absehbar ist, dass ein solcher benötigt wird. Dies ist meist dann der Fall, wenn die Mutter unverheiratet und minderjährig ist. In den Fällen, in denen das Kind nach seiner Geburt aus seiner Herkunftsfamilie genommen wird, wird den ehemals sorgeberechtigten Kindeseltern erst dann das Sorgerecht entzogen. Dem minderjährigen Kind muss nun gemäß § 1773 Abs. 1 BGB ein Vormund zur Seite gestellt werden.
Zu unterscheiden sind die Einzel-, die Vereins- und die Amtsvormundschaft (vgl. § 1774 Abs. 1 BGB). Bei der Einzelvormundschaft ist zwischen dem ehrenamtlichen Vormund und dem Berufsvormund zu differenzieren. Bei beiden Formen wird die Vormundschaft durch eine natürliche Person ausgeübt. Als ehrenamtliche Vormünder kommen insbesondere die mit dem Kind verwandten Personen in Betracht. Die ehrenamtliche Vormundschaft durch eine natürliche Person ist allen anderen Formen der Vormundschaft vorrangig (BVerfG, Beschl. v. 30.04.2018, Az. 1 BvR 393/18) – soweit die Person hierfür geeignet ist (§ 1779 Abs. 1, Abs. 2 BGB). Der Berufsvormund ist ebenfalls eine natürliche Person. Diese übt ihre Tätigkeit jedoch beruflich und mit entsprechender Vergütung aus. Häufig handelt es sich bei Berufsvormündern um Sozialpädagogen, Erzieher oder anderweitig qualifizierte Personen. Bei der Vereinsvormundschaft übernimmt ein rechtsfähiger Verein die Vormundschaft, der gemäß § 54 Abs. 1 VIII. Sozialgesetzbuch (SGB VIII) vom überörtlichen Träger der Jugendhilfe als Vormundschaftsverein anerkannt wurde. Beispiele hierfür sind ,,FAIRbund“ oder der ,,Dresdner Betreuungsverein“. Wenn kein geeigneter Einzel- oder Vereinsvormund vorliegt, wird das Sorgerecht auf das Jugendamt übertragen. Man spricht dann von einer Amtsvormundschaft. Gemäß § 55 Abs. 2 SGB VIII überträgt das Jugendamt die dazugehörigen Aufgaben auf einen seiner Mitarbeiter.
3. Welche Probleme können sich aus der Amtsvormundschaft ergeben?
Obwohl die Amtsvormundschaft durch das Jugendamt insbesondere der Einzelvormundschaft gegenüber subsidiär ist, werden 85 Prozent aller Vormundschaften vom Jugendamt geführt (Peter-Christian Kunkel in ,,Vormundschaft, Pflegschaft und Beistandschaft für Minderjährige“, C.H. Beck, München 2017, S. 453). Dies gilt auch für den Bereich der Vollzeitpflege. Obwohl hier die Pflegeeltern als ehrenamtliche Einzelvormünder in Betracht kommen, wird in den meisten Fällen dennoch das Jugendamt als Amtsvormund bestellt. Die rechtliche und tatsächliche Ausgestaltung der Amtsvormundschaft innerhalb der Vollzeitpflege haben in der Vergangenheit nicht selten zu Problemen geführt:
a) Spannungen zwischen Pflegeeltern und Amtsvormund in der Personensorge
aa) Auseinanderfallen von tatsächlicher und rechtlicher Verantwortung
Der Amtsvormund nimmt das Mündel nicht in seinen eigenen Haushalt auf. Kommt das Pflegekind im Rahmen der Vollzeitpflege gemäß § 33 ff. SGB VIII in eine Pflegefamilie, heißt dies jedoch nicht, dass nun seine Pflegeeltern das Sorgerecht innehaben. Dieses verbleibt auch dann beim Vormund, wenn das Mündel bei Dritten unterkommt. Die sorgerechtlichen Entscheidungsbefugnisse liegen im Falle einer Amtsvormundschaft daher beim Jugendamt, auch wenn das Kind bereits über einen langen Zeitraum bei der Pflegefamilie lebt und die Unterbringung auf Dauer angelegt ist.
Da sich die Pflegeeltern im Alltag um das Kind kümmern müssen, muss der Vormund ihnen jedoch einen Teil seiner Entscheidungsbefugnisse übertragen. Gemäß § 1688 Abs. 1 BGB delegiert der Vormund die Angelegenheiten des täglichen Lebens an die Pflegepersonen. Angelegenheiten des täglichen Lebens sind solche, die häufig vorkommen und keine schwer abzuändernden Auswirkungen haben (vgl. § 1687 Abs. 1 BGB). Dazu gehört beispielsweise die Teilnahme an einem Klassenausflug. Der Amtsvormund überträgt damit die Befugnis zur Ausübung von Teilen der Personensorge auf die Pflegeeltern, die das Kind auch tatsächlich erziehen. Alle anderen Entscheidungen, beispielsweise die Auswahl der Schule oder welche Impfungen das Kind bekommt, dürfen die Pflegeeltern nicht allein treffen. Stattdessen müssen sie sich dafür die Zustimmung des Amtsvormundes einholen. Dies empfinden viele Pflegefamilien als künstliche Beschränkung ihrer familiären Aufgaben und ihrer tatsächlichen Verantwortung (Henriette Katzenstein, Ruth Seyboldt, Miriam Fritsche in ,,Die große Vormundschaftsrechtsreform“, Bundesforum/DIJuF, Heidelberg 2022, S. 31). Schließlich leben sie mit dem Kind zusammen und übernehmen seine Erziehung, sind rechtlich jedoch nicht entscheidungsbefugt. Damit fällt die tatsächliche und die rechtliche Verantwortung für das Kind auseinander.
bb) Problem: Überforderung des Amtsvormundes durch hohe Fallzahlen
Diese Aspekte gelten jedoch auch für jede andere Form der Vormundschaft, in denen die tatsächlich verantwortlichen (Pflege-)Personen nicht identisch mit dem rechtlich verantwortlichen Vormund sind. Sind die Pflegeeltern nicht gleichzeitig die Vormünder des Kindes, sondern hat eine andere Person oder ein Verein das Sorgerecht inne, so fallen tatsächliche und rechtliche Verantwortung auch hier auseinander. Wieso also spricht der Beitrag die daraus resultierende Teilung der Personensorge als Problem in der Amtsvormundschaft an?
Kommt es zur Teilung der Personensorge insoweit, dass Pflegeeltern viele Entscheidungen nicht ohne Rücksprache mit dem Vormund treffen können, sind die wichtigsten Eckpfeiler die Kooperation und Kommunikation zwischen den Beteiligten. Dieses Fundament leidet, wenn der Vormund so eingespannt ist, dass er eine regelmäßige Kooperation und Kommunikation nicht mehr gewährleisten kann. Wie bereits erwähnt, werden 85 Prozent aller Vormundschaften vom Jugendamt geführt. Dieses überträgt die dazugehörigen Aufgaben auf einen seiner Mitarbeiter. In der Vergangenheit war es aufgrund der Menge der amtsgeführten Vormundschaften nicht unüblich, dass die jeweiligen Mitarbeiter für 80 bis 300 Mündel gleichzeitig verantwortlich waren (vgl. Landesjugendämter Rheinland und Westfalen in ,,Qualitätsstandard für Vormünder“, LVR, 2013, S. 2). Viele Mitarbeiter waren durch die hohen Fallzahlen überfordert, das Mündel wurde vermehrt zum Objekt degradiert. Bei einer so hohen Fallzahl kann von Kommunikation und Kooperation nicht mehr die Rede sein, sondern eher von einer formalen Abarbeitung. Wie soll ein Vormund gut erreichbar, kommunikations-, kooperations- und konfliktfähig sein, sich für die Rechte und Interessen des Mündels einsetzen, diese kennen und das Mündel beteiligen, wenn er für so viele Mündel und Pflegefamilien gleichzeitig verantwortlich ist?
Exkurs: Traurigen Höhepunkt erlangte diese Problematik 2006, als der zweijährige Kevin von seinem drogensüchtigen Ziehvater zu Tode misshandelt wurde. Sein Amtsvormund schritt nicht ein. Später gab der zuständige Mitarbeiter, der neben Kevin weitere 200 Mündel betreute, zu Protokoll, dass er sich mit der Fallzahl überfordert gefühlt habe. Das Verfahren gegen die Behörde und den Mitarbeiter wegen fahrlässiger Tötung wurde gegen eine Zahlung von 5.000 Euro eingestellt (vgl. Ralf Wiegand in ,,Sozialarbeiter im Fall Kevin – Rückkehr des Beschuldigten“, Süddeutsche Zeitung, 2010, Hier abrufbar). Mit der Vormundschaftsreform 2011 wurde die Fallzahl daraufhin auf 50 Mündel pro Mitarbeiter beschränkt (vgl. § 55 Abs. 3 SGB VIII).
In Anbetracht der hohen rechtlichen Verantwortung und Stellung des zuständigen Mitarbeiters im Gegensatz zur geringen Entscheidungsbefugnis der Pflegefamilie, die im Rahmen der Personensorge fast vollständig auf seine Kooperation, Zeit und sein Engagement angewiesen ist, ist jedoch auch eine Fallzahlbegrenzung von 50 als zu hoch einzuschätzen. Denn im Regelfall ist eine Teilnahme an zeitintensiven Gesprächen sowie regelmäßiger persönlicher, auf Vertrauen aufbauender Kontakt mit dem Mündel und seiner Pflegefamilie auch unter diesen Umständen nicht möglich (vgl. Reinhard Wiesner, Friederike Wapler in ,,SGB VIII“, 6. Auflage, C.H. Beck, München 2022, § 55 Rn. 90).
b) Doppelrolle des Jugendamts bei Konflikten zwischen Pflegeeltern und Amtsvormund
Des Weiteren kann die Ausübungsbefugnis der Alltagssorge durch die Pflegeeltern vom Sorgeberechtigten, also dem Vormund, wieder eingeschränkt werden (vgl. § 1688 Abs. 3 BGB). Gemäß § 37 Abs. 3 SGB VIII ist bei solchen Konflikten und sonstigen Meinungsverschiedenheiten das Jugendamt einzuschalten, das dann zwischen den Parteien vermitteln soll. Bei der Amtsvormundschaft stellt sich damit folgendes Problem: Bei Konflikten zwischen der Pflegefamilie und dem Amtsvormund, also dem Jugendamt, wird letztlich wiederrum das Jugendamt als Behörde zur Entscheidungsfindung herangezogen. Dass hier ein Interessenkonflikt besteht, ist offenkundig.
c) Verhältnis zwischen zuständigem Mitarbeiter und Jugendamt
Über dieses Konfliktpotential wird seit jeher in der Rechtswissenschaft und in der Sozialpädagogik diskutiert. Ausgangspunkt dieses Streites ist das Verhältnis zwischen dem zuständigen Mitarbeiter und dem Jugendamt als dessen Arbeitgeber. Wie bereits oben erwähnt, überträgt das Jugendamt die mit der Vormundschaft zusammenhängenden Aufgaben gemäß § 55 Abs. 2 SGB VIII auf einen seiner Mitarbeiter. Gleichwohl bleibt die Behörde selbst der Vormund. Insofern fungiert das sorgeberechtigte Jugendamt innerhalb der Vollzeitpflege einerseits als Leistungsberechtigter gemäß § 27 Abs. 1 SGB VIII und andererseits als leistungsverpflichtete Behörde gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII. Im Rahmen der Amtsvormundschaft werden die Aufgaben zur Ausübung der elterlichen Sorge und die Gewährung und Erbringung sozialer Dienstleistungen damit organisatorisch und personell vermischt. Die Tatsache, dass das Jugendamt und seine behördlichen Interessen hierarchisch integriert bleiben, hat vermehrt zu Kritik an der Amtsvormundschaft geführt:
aa) Unabhängigkeit des zuständigen Mitarbeiters vom Jugendamt
Der zur Führung der Amtsvormundschaft bestellte Mitarbeiter hat sich in allen Entscheidungen allein vom Interesse des Mündels leiten zu lassen (Reinhard Wiesner, Friederike Wapler in ,,SBG VIII“, 6. Auflage, C.H. Beck, München 2022, § 55 Rn. 84). Der zuständige Mitarbeiter führt die Vormundschaft selbstständig und ohne Fremdbeeinflussung durch das Jugendamt. Gemäß § 1802 Abs. 2 BGB untersteht er der Aufsicht des Familiengerichts. Er ist grundsätzlich frei von Weisungen. Dies gilt insbesondere für die Weisungen seines Arbeitgebers. Die Leitung des Jugendamtes ist nur dann befugt, Weisungen zu erteilen, wenn sich der zuständige Mitarbeiter pflichtwidrig verhält. Einem Interessenkonflikt zwischen dem zuständigen Mitarbeiter und dem Jugendamt, der das Verhältnis zum Mündel betrifft, soll so durch das Recht vorgebeugt werden. Indiziert wird damit eine strikte Trennung der Leistungsebene und der anderen Aufgaben der Jugendhilfe von der Vormundschaft und der Tätigkeit des zuständigen Mitarbeiters.
Gleichzeitig wurden jedoch lange Zeit keine ausreichenden Strukturen geschaffen, die es den Mitarbeitern auch tatsächlich ermöglicht hätten, sich ausschließlich an den Bedürfnissen der Mündel und nicht an den Interessen der Behörde zu orientieren. Bei Mischarbeitsplätzen, in denen ein Vormund im gleichen Gebäude wie das Jugendamt sitzt, der mit dem gleichen Briefpapier korrespondiert, dieser Vormund mag sich noch so unabhängig und weisungsfrei fühlen, die betroffenen Minderjährigen und deren Pflegepersonen sehen ihn dennoch als Teil des Jugendamtes und nicht als „ihren“ Vormund (Ludwig Salgo, Gisela Zenz in ,,(Amts-)Vormundschaft zum Wohle des Mündels“, Zeitschrift frühe Kindheit, Ausgabe 04/10, Berlin 2010). Auch intern zwischen dem zuständigen Mitarbeiter und dem Jugendamt kann sich der Mitarbeiter trotz seiner rechtlichen Unabhängigkeit in einer Situation wiederfindet, in der er sich unter Druck gesetzt fühlt, anderweitigen Amtsinteressen nachzugeben. Dass das Recht also nur eine zweifelhafte Steuerungsfunktion gegenüber der tatsächlichen Unabhängigkeit des zuständigen Mitarbeiters in der Praxis hat, soll hier anhand des Beispiels Pflegegeld illustriert werden:
bb) Berücksichtigung der Interessen des Jugendamts am Beispiel Pflegegeld
Das Jugendamt muss als leistungsverpflichtete Behörde ein monatliches Pflegegeld für das Pflegekind zahlen. Dies erfolgt entsprechend der Festsetzung durch das Landesjugendamt. Den Anspruch auf das Pflegegeld als Teil der Jugendhilfe hat der Sorgeberechtigte gemäß § 27 Abs. 1 SGB VIII inne. Bei der Amtsvormundschaft ist demnach der Amtsvormund (im Folgenden der zuständige Mitarbeiter) anspruchsberechtigt. Allein aus praktischen Gründen wird das Pflegegeld in der Regel direkt an die Pflegeeltern überwiesen, einen eigenen Anspruch haben sie jedoch nicht. Für besonders entwicklungsbeeinträchtigte Pflegekinder ist es erforderlich, über den festgelegten Pauschalbetrag hinaus, die Kosten zur Erziehung entsprechend anzuheben. Hierüber entscheidet das zuständige Jugendamt im eigenen Ermessen. Kommt die Behörde zu einer ablehnenden Entscheidung, kann nur der Vormund in Widerspruch gehen. Nicht aber die Pflegeeltern, die durch den angemessenen Ausgleich ihres Erziehungsaufwandes eigentlich von der Erhöhung des Pflegegeldes profitieren würden. Dies wird dann zum Problem, wenn sich der Vormund den Interessen der Pflegeeltern an einem erhöhten Pflegegeld verweigert, da er als interner Mitarbeiter der leistungsverpflichteten Behörde selbst zum Ressourcensparen animiert ist. Auch bei knappen Kassen hat er jedoch die Rechte junger Menschen und ihrer Pflegeeltern zu wahren und die Vorschriften zur wirtschaftlichen Jugendhilfe offensiv auszulegen. Einer Erhöhung des Pflegegeldes nicht entgegenzuarbeiten, entspricht seinem Auftrag, positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien zu erhalten oder zu schaffen, hingegen nicht (vgl. Gerhard Fieseler, Manfred Busch in ,,Vollzeitpflege – Sicherstellung des notwendigen Unterhalts“, FPR 2004, C.H. Beck, München 2004, S. 448). Dies lässt sich jedoch nicht vermeiden, solang er organisatorisch und personell mit dem Jugendamt und dessen Interessen verflochten ist.
Diese Missstände gehen häufig Hand in Hand mit mangelnder Aufklärung der Pflegeeltern über ihre Rechte einher. Dazu zählt insbesondere, dass auch sie als Einzelvormünder in Betracht kommen. So ist das Jugendamt zwar gemäß § 53 Abs. 1 SGB VIII verpflichtet, jährlich zu überprüfen, ob ein Einzelvormund in Betracht kommt, allerdings lösen auch bei stabilen Dauerpflegeverhältnissen nur wenige Pflegeeltern den Amtsvormund ab. Dies könnte insbesondere daran liegen, dass das Jugendamt seine Befugnisse durch die Amtsvormundschaft behalten möchte, sodass es seine wirtschaftlichen Interessen weiter geltend machen kann. So liegt es beispielsweise auf der Hand, dass der unabhängige Einzelvormund wohl eher dazu geneigt ist, die Interessen des Mündels gegen abweichende Auffassungen des Jugendamts durchzusetzen, als ein Mitarbeiter eben dieser Behörde.
Eine konsequent wahrgenommene Amtsvormundschaft müsste aber eigentlich, wenn immer möglich und dem Wohl des Kindes entsprechend, auf ihre Beendigung als Behördenvormundschaft hinarbeiten. Die Praxis spiegelt dieses Leitbild aber nicht wider.
4. Fazit: Interessenkonflikt bei der Amtsvormundschaft des Jugendamts
,,Durch die Einbettung der Amtsvormünder in hierarchische und arbeitsteilige Strukturen wird die originäre Rolle des Amtsvormundes ad absurdum geführt, denn er sollte entsprechend seinem Auftrag erstrangig Interessenvertreter des Kindes und nicht Vertreter eines Organs der Jugendhilfe sein. Wenn man es daher ernst meint mit der Unabhängigkeit der Amtsvormundschaft bei der Wahrnehmung von Mündelinteressen, wird man die Errichtung einer eigenständigen Vormundschaftsbehörde außerhalb des Jugendamtes fordern müssen.“ (Ludwig Salgo, Gisela Zenz in ,,(Amts-)Vormundschaft zum Wohle des Mündels“, Zeitschrift frühe Kindheit, Ausgabe 04/10, Berlin 2010).
Die vorangegangenen Ausführungen zeigen, dass eine Sensibilität gegenüber dem Interessenkonflikt des Amtsvormundes zwischen dem Jugendamt und dem Pflegekind in der Rechtswissenschaft und der Sozialpädagogik existiert. Lange Zeit wurde jedoch nicht sichergestellt, dass solche Interessenkollisionen auch überall vermieden werden. Dies könnte sich nun durch die Vormundschaftsrechtsreform vom 01. Januar 2023 geändert haben.
Der Beitrag wird fortgesetzt. Yasmin Schnack
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