Das neue BND-Gesetz ist vollständig zum 1. Januar 2022 in Kraft getreten. Immer noch darf der Auslandsgeheimdienst als einzige deutsche Behörde weltweit Datenströme anzapfen und dabei Millionen von Verbindungen und Informationen herausfiltern. Deutsche und internationale Medienschaffende sehen sich, ihre Arbeit und ihre Quellen bedroht. Wie ist eigentlich ein Geheimdienst mit demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien vereinbar?
Am 25. März 2021 hat der Bundestag das neue Bundesnachrichtendienst-Gesetz (BND-Gesetz) verabschiedet. Mit der Gesetzesnovelle werden Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt, das mit seiner Entscheidung vom 19. Mai 2020 zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung mehrere Paragrafen des BND-Gesetzes für nicht vereinbar mit dem Grundgesetz erklärte. Der Gesetzgeber musste bis Ende 2021 nachbessern. Schwerpunkt des Verfahrens bildete das 2016 reformierte BND-Gesetz, das die Überwachung von Ausländer*innen im Ausland regelte. Die Überwachung erstreckte sich auch auf im Ausland tätige Journalist*innen und ihre Informant*innen. Aber auch nach der Gesetzesüberarbeitung befürchten Medienschaffende, dass sich an der Überwachungspraxis wenig ändert. Der BND darf nämlich auch weiterhin massenhaft Kommunikation ausforschen, erhält sogar noch zusätzliche Hacking-Befugnisse und kann aussagekräftige Daten über Journalist*innen und ihre Kontakte sammeln und an andere Nachrichtendienste weiterreichen.
Erstmals bekannt wurde die weltweite Massenüberwachung im Jahr 2013 durch Edward Snowden, einem ehemaligen Mitarbeiter des amerikanischen Geheimdienstes National Security Agency (NSA). Seine Enthüllungen zeigten ein weltweites Spionagenetzwerk, in das neben dem amerikanischen auch der britische und deutsche Geheimdienst verwickelt waren. Datenströme aus unterschiedlichsten Quellen auf der ganzen Welt wurden mitgeschnitten und abgehört. Mit Hilfe von Selektoren, also vordefinierten Suchbegriffen, durchforstete der BND weltweit Datenströme über Internetknoten und Satelliten, schnitt die für ihn interessanten Inhalte mit, wertete sie aus und übermittelte auch personenbezogene Daten an Partnergeheimdienste. Die Vorgehensweise des BND war eine klare Überschreitung von Kompetenzbefugnissen und entsprach in überwiegenden Teilen der „Grundstruktur einer anlasslosen und damit verfassungsmäßig unzulässigen strategischen Telekommunikationsüberwachung (TKÜ)“, erklärte zu der Überwachungspraxis der Vorsitzende der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), Ulf Buermeyer, in einem Interview der Podcast-Reiche „Irgendwas mit Recht“ noch im Februar 2020. Im Gegensatz zu einer zulässigen zielgerichteten Überwachung, beispielsweise in Ermittlungsverfahren bei denen konkrete Anhaltspunkte für eine begangene Straftat des Abzuhörenden vorliegen, hatte der BND bei dieser Vorgehensweise in großem Stil ohne konkrete Anhaltspunkte und ohne richterliche Anordnung sämtliche Inhalte mitgeschnitten und ausgewertet. Damit verletzte der BND über Jahre das Fernmeldegeheimnis, die Pressefreiheit, die digitalen Bürgerrechte und die rechtsstaatlichen und demokratischen Prinzipien der Bundesrepublik Deutschland.
Der BND als Behörde
Die institutionellen Wurzeln des BND legte in der Nachkriegszeit die US-Armee in der Besatzungszone Deutschlands und rekrutierte für das Vorhaben in erster Linie deutsche Kriegsgefangene, die früher alle dem nationalsozialistischen Sicherheitsapparat angehörten. Die Organisation wuchs in den Nachkriegsjahren schnell heran und wurde später zu einer riesigen Maschinerie mit vielen Außenstellen und einer verworrenen Personalstruktur und hatte die Aufgabe, möglichst viele Informationen aus allen möglichen Quellen zu sammeln, auszuwerten und an die Amerikaner weiterzumelden. Dass aufgrund unklarer Organisationsstrukturen die Qualität und Relevanz von Informationen schon damals nebensächlich waren, beschreibt der Autor Thomas Wolf in seinem Aufsatz zu den Anfängen des BND aus dem Jahr 2016. Reinhard Gehlen, der Gründer und spätere Leiter des BND bezeichnete die Organisationsstruktur als „Schottensystem“, eine Art Sicherheitsmaßnahme vor Außeneinwirkungen oder mit anderen Worten eine undurchsichtige Institution ohne Klarkenntnisse von unten nach oben, ohne interne Verbindungen zu parallelen Abteilungen und ohne Kenntnis nach außen von dem genauen Personalstellenplan. Im Wesentlichen diente diese Struktur als Instrument für die Abwehr von Kontrolle, Kritik und gesetzlichen Vorschriften von außen. Genau so wurde die Organisation später von den Amerikanern an die junge Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1956 „übergeben“ und sollte weiter als politischer und militärischer Kooperationspartner fungieren. Eigenständige Überlegungen seitens der Bundesregierung und der Opposition, wie ein neuer deutscher Nachrichtendienst und seine zweckmäßige Organisation und Zusammensetzung überhaupt aussehen sollte, wurden damals nicht angestellt. Die „Organisation Gehlen“ wurde schlicht in den BND umetikettiert. Personell und strukturell blieb alles gleich. Bis ins Jahr 1990 gab es nicht mal eine formell-gesetzliche Grundlage für die Existenz und Aufgabenverteilung des BND. So entzog sich die wachsende sicherheitspolitische Gefahrenabwehrbehörde der Kontrolle durch Parlament und Öffentlichkeit und wuchs zu einer abgeschotteten Festung antiliberaler Kräfte heran, die sich im Vergleich zu anderen Behörden in ihrem verwaltungsrechtlichen Handeln nicht an die Verfassung nach Art. 1 Abs. 3 GG gebunden fühlte. Eine kritische Überprüfung auf die Einpassung in die aktuellen gesetzlichen und rechtsstaatlichen Vorgaben der Bundesrepublik seitens der Politik hat nicht stattgefunden. Die zuständigen politischen Institutionen wie das Bundeskanzleramt, der Bundestag und der Bundesrechnungshof übten sich in wohlwollender Gutgläubigkeit und aktivem Wegsehen von den autonomen Handlungen des Nachrichtendienstes. Die Bundesregierung erteilte dem BND im Jahr 2016 mit dem „Anti-Terror-Paket“ sogar noch weitreichendere Befugnisse für die Auswertung von inländischen und ausländischen Metadaten. Dabei entzog sich der unübersichtliche Spionageapparat der Kontrolle eben genau dieser Bundesregierung und spionierte diese sogar aus.
Journalist*innen als Zielgruppe
Der im Jahr 2014 eingesetzte Untersuchungsausschuss zur NSA-Affäre ermittelte, dass ausländische und deutsche Staatsbürger*innen, Politiker*innen und Organisationen über Jahre hinweg abgehört wurden, unter anderem sogar Altbundeskanzlerin Angela Merkel. Überproportional betroffen von Überwachungen war die Gruppe der Berufsgeheimnisträger*innen, wie Journalist*innen und Rechtsanwält*innen. Später enthüllte die Zeitschrift DER SPIEGEL im Jahre 2017, dass der BND seit 1999 weltweit mindestens 50 Telefon-, Faxnummern und E-Mail-Adressen von Journalist*innen und Redaktionen überwachte. Betroffen waren dabei etwa mehr als ein Dutzend Anschlüsse der britischen BBC und New York Times in Afghanistan sowie Anschlüsse von Mobil- und Satellitentelefonen der Nachrichtenagentur Reuters in Afghanistan, Pakistan und Nigeria. Höchstwahrscheinlich betroffen von der Überwachung durch den BND waren laut netzpolitik.org auch die Investigativ-Journalist*innen aus aller Welt, die zu den Paradise-Papers recherchierten und ihr Wissen digital in globalen Netzwerken und auf Servern miteinander teilten. Durch solche Abhör- und Datenaustauschmaßnahmen zwischen den Geheimdiensten werden Journalist*innen nicht nur ihres Rechts auf vertrauliche Kommunikation beraubt, sondern auch möglichen Repressalien in autokratischen Staaten ausgesetzt. Dies ist für die Journalist*innen, aber auch insbesondere für ihre Quellen mit katastrophalen Risiken und uneinschätzbaren Folgen für ihre persönliche Sicherheit verbunden. Ende 2017 legte deshalb die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG), die unter anderem auch von der GFF, Amnesty International, einzelnen Investigativ-Journalist*innen und Rechtsanwält*innen unterstützt wurde, Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Mai 2020
Im Mai 2020 entschied der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts, dass die gesamte deutsche Staatsgewalt und somit auch der BND an die Grundrechte des Art. 1 Abs. 3 GG gebunden ist und nach der derzeitigen Ausgestaltung der Gesetze sowohl gegen das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG, als auch gegen das grundrechtliche Telekommunikationsgeheimnis des Art. 10 Abs. 1 GG und gegen die Pressefreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG im Rahmen der Fernmeldeaufklärung verstößt. Dies betrifft sowohl die Erhebung und Verarbeitung der Daten als auch die Übermittlung der gewonnenen Daten an andere Stellen. Der Schutz der einzelnen Grundrechte kann sich zwar im Inland und Ausland unterscheiden, bedarf aber einer strikten verfassungsmäßigen Ausgestaltung der gesetzlichen Grundlagen. Die Pressefreiheit und das Telekommunikationsgeheimnis sollen damit nicht nur für Deutsche in Deutschland, sondern auch für Ausländer im Ausland, die durch den BND ausspioniert werden, gelten. Eine Früherkennung von aus dem Ausland drohenden Gefahren kann durch den BND im Rahmen ihrer Kompetenz nur erfolgen, wenn es sich um Gefahren handelt, die sich ihrer Art und ihrem Gewicht nach auf die Stellung der Bundesrepublik in der Staatengemeinschaft auswirken können und von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung sind. Das Bundesverfassungsgericht schließt damit sowohl die Fernmeldeaufklärung, als auch die Gefahrenfrüherkennung grundsätzlich nicht aus. Einen Bedarf an nachrichtendienstlicher Tätigkeit sieht das Gericht im Zusammenhang mit der fortschreitenden Informationstechnik und den wachsenden Kommunikationsmöglichkeiten, die der Bundesrepublik aus dem Ausland Schaden zufügen und eine destabilisierende Wirkung entfalten können, zum Beispiel durch Cyberangriffe, Geldwäscheoperationen, international organisierte Kriminalität und Terrorismus. Dadurch ergäbe sich ein Spannungsfeld zwischen der Freiheit der Menschen auf der einen und der innerstaatlichen Sicherheit auf der anderen Seite.
Eine strategische Auslandstelekommunikationsüberwachung sieht das Gericht hingegen grundsätzlich mit Art. 10 Abs. 1 GG unvereinbar und kann nur in geregelten Ausnahmefällen durch eine Ausnahmebefugnis von der Bundesregierung auf den BND übertragen werden. Diese muss dabei aber strikten Kriterien unterliegen, wie einer Begrenzung der zu erhebenden Daten, der Bestimmung eines konkreten Überwachungszwecks und der jeweiligen Maßnahmen, dem Festsetzen von Grenzen für eine Vorratsdatenspeicherung, sowie die Gewährleistung eines unantastbaren Kernbereichsschutzes. Zusätzlich müssen in besonderer Weise vom Gesetz Schutzvorkehrungen für die Berufsgruppe der Geheimnisträger*innen und ihre Vertraulichkeitsbeziehungen getroffen werden. Eine Übermittlung vertraulicher Daten an ausländische Partnerdienste kann nur erfolgen, sofern eine spezifisch konkretisierte Gefahrenlage vorliegt. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass eine kontinuierliche, unabhängige und effektive Rechtskontrolle der Aktivitäten, des BND durch ein Kontrollorgan erfolgen muss.
Das neue Gesetz und seine Schwächen
Die Bundesregierung erkennt in ihrem Gesetzesentwurf (BT-Drucks. 19/26103) die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts formell an, hebt aber die herausragende außen- und sicherheitspolitische Bedeutung des BND in besonderer Weise hervor. Eine distanzierte und kritische Auseinandersetzung mit der Institution BND findet auch dieses Mal nicht statt. Diverse Parteien, Verbände, Organisationen und Einzelpersonen kritisierten den Gesetzesentwurf, da wesentliche Anforderungen aus der Entscheidung nicht oder nicht hinreichend umgesetzt wurden. In ihrer Stellungnahme zum Gesetzesentwurf spricht die Organisation ROG von einem „ernüchternden Bild“ in dem „nicht das demokratische Einhegen der massenhaften Überwachung digitaler Kommunikation“ im Vordergrund steht, sondern „die Legalisierung der weitest möglichen Fortsetzung der Praxis“. Tatsächlich gewährt das neue Gesetz in den einzelnen Bestimmungen zwar gesondert anerkannte Schutzrechte, beschneidet diese jedoch in den Folgeabsätzen oft durch weitreichende Einschränkungen oder kaum kontrollierbare Ermessensspielräume. So steht im ersten Absatz des § 21 des Gesetzes, dass eine gezielte Erhebung personenbezogenen Daten von Journalist*innen unzulässig ist, schafft aber nur einen Absatz später dehnbare Ausnahmeregelungen bei denen der Schutz nicht greifen soll, wie zum Beispiel bei Gefahren für Leib und Leben, die Freiheit einer Person oder anderer nicht weiter definierter lebenswichtiger Güter der Allgemeinheit. Die Möglichkeit, „nicht personenbezogene“ Verkehrsdaten zu erheben, bleibt uneingeschränkt. So können leicht Verbindungsdaten von Journalist*innen untereinander oder mit ihren Quellen erfasst sein, was weiterhin gegen Art. 5 Abs 1 GG verstoßen würde, da dieser umfassend die gesamten journalistische Tätigkeit „von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung“ schützt und damit wesentlich weiter greift als das bloße Persönlichkeitsrecht. Zudem sollen zukünftig allein die Mitarbeiter*innen des BND festlegen können, welche Kommunikation als Teil einer Vertraulichkeitsbeziehung eingestuft und wem damit überhaupt journalistische Schutzrechte zugestanden werden sollen. Diese Praxis ist verfassungswidrig, da staatliche Stellen zu strikter Inhaltsneutralität und Nichteinmischung im Bereich der Pressefreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG verpflichtet sind. Eine inhaltliche Auslegung der Berufsbezeichnung „Journalist*in“ wäre durch die Behörde BND unzulässig.
Auch eine Dokumentationspflicht bei der Einordnung dieses Berufs besteht für den BND nicht. Die „stichprobenartige“ administrative Kontrolle durch den Kontrollrat dürfte damit wenig ergiebig bleiben, da viele Entscheidungen und Prozesse beim BND auch weiterhin im Geheimen unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgen werden. Auch dem parlamentarischen Kontrollgremium kann kein gesteigerter Mehrwert bei der Kontrolle zugesprochen werden. Der Vorsitzende Roderich Kiesewetter, ein ehemaliger Bundeswehroffizier, sagte in einer digitalen Veranstaltungsreihe des Gesprächskreises „Nachrichtendienste in Deutschland e.V.“ im Juni 2020, dass „im Zweifel die Sicherheit Deutschlands als erstes Gut“ behandelt werden müsse und der Schutz der Freiheitsrechte der Bürger erst danach komme. Das ist ein klarer Gegensatz zu dem Zweck des Kontrollorgans, der vorsieht, die Tätigkeit des BND auf seine Rechtmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit unabhängig und objektiv als gerichtsähnliches Organ zu überprüfen. Eine Abwägung kollidierender Verfassungsgüter muss im Rahmen einer praktischen Konkordanz und nur für einen konkreten Fall erfolgen und darf nicht bereits im Voraus vordefiniert sein. Das widerspricht im Kern rechtsstaatlichen und demokratischen Prinzipien. Schon die in Art. 1 GG festgelegte Garantie der Menschenwürde wird durch diese Aussage unterlaufen. Art. 1 Abs. 1 des Entwurfs von Herrenchiemsee besagt: „Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen.“ Die Menschenwürde in diesem Sinne hat Vorrang vor aller staatlichen Gewalt und allen Staatszwecken, selbst wenn diese auf den Erhalt des Staates als solchen gerichtet sind. Ihr Schutz und der Schutz der unveräußerlichen Menschenrechte, unter die auch das Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit der Person und das Recht auf Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG fällt, ist die wichtigste Aufgabe des Staates. Insgesamt greift daher auch der anvisierte Zweck der Nachrichtendienstkontrolle mit Blick auf die unabhängige Sicherung des Schutzes von Vertraulichkeitsbeziehungen zu kurz.
Demokratische Legitimation und Ausblick
Die Vorgaben der sehr komplexen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wurden vom Parlament in Gesetze gegossen, sodass sich der BND zumindest vorerst ein weiteres Stück Legitimation in unserer repräsentativen Demokratie erkämpft hat. „Rechtsstaatlich gesehen“ sei „ein großer Schritt“ gemacht, mit dem man „erstmal arbeiten kann“, äußerte sich zum neuen Gesetz Jan-Hendrik Dietrich, Professor für das Recht der Nachrichtendienste an der Hochschule des Bundes für Öffentliche Verwaltung, in einer Veranstaltungsreihe des Gesprächskreises „Nachrichtendienste in Deutschland e.V.“ In der Tat hat der BND eine umfassende Gesetzeseinkleidung erhalten, die so umfangreich in seiner Geschichte wohl niemals war. Inwieweit diese jedoch die Kriterien eines demokratischen Rechtsstaats erfüllt, bleibt umstritten. „Von einer klaren Regelung, die jeder Sachbearbeiter im BND sofort versteht und damit ein Stück Rechtssicherheit hat, kann man beim besten Willen nicht sprechen“, betonte sogar der ehemalige BND-Präsident Gerhard Schindler bei der Veranstaltungsreihe. Wie gut ist also ein Gesetz, bei dem selbst ein ausgebildeter BND-Mitarbeiter nicht genau weiß, welche Daten er erheben, auswerten und verwenden darf? Ein Gesetz ist die zentrale Handlungsform des Staates in einer rechtsstaatlichen und demokratischen Ordnung, bildet gleichzeitig die Grundlage und Grenze aller Ausübung von Staatsgewalt und schafft damit Rechtssicherheit für den Bürger in einem Staat. Doch wenn die Handlungsgrenzen der Staatsgewalt nicht greifbar sind, kann es keine Rechtssicherheit für den Bürger geben und die Frage nach dem tatsächlichen Volkswillen stellt sich umso prägnanter.
Zudem dürfte es strenggenommen „die Institution des Geheimdienstes in einem demokratischen Rechtsstaat gar nicht geben“, erklärte bereits Bernd Schünemann, ehemaliger Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie an der Ludwig-Maximilian-Universität in München in seiner (Podcast)-Vorlesung zum Strafprozessrecht. Denn Demokratie bedeutet in erster Linie Öffentlichkeit. Ohne Öffentlichkeit kann das Volk den Staat zur Ausübung seiner Macht gar nicht legitimieren. Geheimdienste, dessen Kernaufgabe darin besteht konspirativ und heimlich zu agieren, verstoßen demnach ihrer Struktur nach gegen demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien. Der überwiegende Teil der geheimdienstlichen Tätigkeit verbleibt schließlich im Verborgenen und tritt nur teilweise an die Oberfläche, wenn die Öffentlichkeit, angeschubst von Whistleblower*innen, hin- und wieder nachbohrt. Die Existenz der Geheimdienste könne man deswegen im Grunde genommen nur mit einem staatlichen „Notprinzip“ rechtfertigen, so Schünemann. Um es mit den Worten des Philosophen Theodor Lessing zu sagen: „Nur wer die Waffen hat, kann Frieden schaffen!“ In seinem Referat auf einem Kongress gegen koloniale Unterdrückung und Imperialismus im Jahre 1927 in Brüssel beschrieb er, dass moderne Imperien mit Kapitalmacht und einer fortgeschrittenen Maschinentechnik sich nur mit den gleichen Mitteln bekämpfen ließen, nämlich Kapital mit Kapital und Technik mit Technik. Nur so könne man durch die Macht der Unterdrücker nicht ausgerottet werden. Gäbe es demnach in Deutschland keinen Geheimdienst, so wäre man von außen leichter angreifbar und könnte nicht mehr erfolgreich als souveräner Staat funktionieren.
Es lassen sich damit zwar plausible Gründe für das Bestehen und Funktionieren eines Geheimdienstes in einem souveränen Staat in der Weltgemeinschaft finden, ob diese auch erstrebenswert im Sinne ethischer und philosophischer Aspekte, wie Demokratie, Friedensbestrebung, Gewaltfreiheit, Gerechtigkeit, Vernunft und Menschlichkeit, sind, steht auf einem ganz anderen Blatt geschrieben. Bis diese ideologische Frage in unserer kapitalistischen Kultur endgültig geklärt ist, bedeutet das für Journalist*innen, dass sie weiterhin für ihre Rechte kämpfen müssen. Daher erwägt auch der Geschäftsführer von ROG, Christian Mihr, in einem Statement gegenüber netzpolitik.org, erneut vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen, um für seine persönlichen Rechte, die Rechte seiner Mitstreiter und sicherlich nicht zuletzt für die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland einzustehen.
Margarita Savina
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